■ Vorlauf
: Wieviel Future?

„Mascha, 15, hat viele Kerle ...“, 21.45 Uhr, ARD – Sonia Mikich ist nett. Wo andere Filmemacher ständig mit Buchstaben knausern, denkt sie auch an uns Zeilengeldsklaven und nennt ihren Film „Mascha, 15, hat viele Kerle und Leonid, 16, ein Maschinengewehr. Jung sein im neuen Rußland“. Für ihre 45-Minuten-Reportage, ihre erste fürs Erste, hat die Leiterin des ARD-Studios Moskau das weite Land durchkämmt, um nachzuschauen, was die Jugend im neuen Rußland so (um)treibt. Und die treibt so dies und das (um).

Jene 15jährige Mascha mit den vielen Kerlen hängt beispielsweise in St. Petersburg rum, klaut hier und da ein bißchen und wartet, scheinbar teilnahmslos, gerade auf ihre erste Abtreibung. Derweil trimmt die toughe Natascha, 16, in einem Moskauer Frisiersalon höhere Töchter auf Girlie-Look, kennt den Tageskurs des Dollars und redet so abgebrüht, als habe sie sich das Regelwerk des Kapitalismus bereits mit der Muttermilch eingepfiffen.

Demgegenüber hat der junge Mann im Altai-Gebirge nahe der mongolischen Grenze noch nie Dollars gesehen und will auch keine haben, sondern Schamane werden. Und Leonid, 16, steht in der ehemaligen sowjetischen Stahlschmiede Magnitogorsk am Ural im wahrsten Sinne vor den Trümmern der „Wende“. Sein Maschinengewehr macht den Waffenfreak so wenig glücklich wie Mascha ihre Kerle. Er ist Patriot und Kommunist und will, daß alles wieder ganz anders wird. So wie früher. Alle diese Jugendlichen haben nicht viel, aber am wenigsten hat Andreij aus Grosny. Nämlich gar nichts mehr. Momentaufnahmen einer grotesken Ungleichzeitigkeit. Mal deprimierend, mal komisch, mal gruselig wie jene Bilder von der Massenabfertigung in der Abtreibungsklinik. Von Sonia Mikich nicht sturzbetroffen, sondern fast schon so schön beiläufig kommentiert, wie wir es bei ihrem Vor- Vorgänger Gerd Ruge schätzen lernten. Nur, ein bisserl arg viel Text ist's schon. Der hätte auch für 90 Minuten gereicht. Man kommt bisweilen mit dem Sehen nicht nach. Beim nächsten Mal also bitte weniger Text im Film, dafür noch ein bißchen mehr im Titel. Wegen des Beitrags und wegen des Zeilenhonorars.Reinhard Lüke