■ Das Porträt
: Gabriele Tiedemann

„Wie ein Vater bei der Tochter“ habe er sich während seiner Knastvisiten bei Gabriele Tiedemann gefühlt, sagte vor drei Jahren der frühere Bürgermeister von Berlin, Heinrich Albertz. Und: „Es ist furchtbar: Sie war so lange im Gefängnis, und kaum kommt sie raus, wird sie krank. Das arme Kind.“ Am Samstag starb Gabriele Tiedemann im Alter von 44 Jahren an Krebs.

An Krebs verstorben: Gabriele Tiedemann Foto: AP

Albertz hatte sie vor über 20 Jahren vor den Augen der Weltöffentlichkeit kennengelernt. Damals, im März 1975, wurden Millionen Fernsehzuschauer Zeugen der Niederlage des Staates gegen seine erbittertsten Feinde: Die Genossen der „Bewegung 2. Juni“ hatten Gabriele Tiedemann und vier weitere Inhaftierte freigepreßt, im Austausch gegen den gekidnappten Berliner CDU-Vorsitzenden Peter Lorenz. Pfarrer Albertz, den die Gruppe als Begleiter angefordert hatte, winkte von der Gangway. Am Zielort Aden angekommen, verlas er das Losungswort, das auch für Lorenz die Freiheit bedeutete: „So ein Tag, so wunderschön wie heute ...“

So fröhlich ging es nicht weiter. Für Gabi Tiedemann, die mit 21 die „Rote Ruhr Armee“ aufbauen wollte, dabei einen Bochumer Polizisten anschoß und dafür acht Jahre Haft erhielt, sollte der Tag der Befreiung weitere dreizehn Lebensjahre im Knast bedeuten. Im Dezember 1977 nahm die schweizer Polizei sie nach einer Schießerei wieder fest. Wegen „fehlgeschlagener Mordtat“ saß sie zehn Jahre im Zuchthaus. Man isolierte die „Top- Terroristin“ im Hochsicherheitstrakt. Dennoch trennte sie sich schon 1980 ideologisch von ihren Genossen. Den RAF-Mord an Bankchef Alfred Herrhausen nannte sie 1989 einen „ebenso zynischen wie größenwahnsinnigen Versuch, die primitive Logik der alten Schwarzweißideologien in die Köpfe der Menschen zurückzubomben“.

Damals stand Gabi Tiedemann vor dem Landgericht in Köln unter Mordanklage. Sie sollte jene kleine Frau mit dem Decknamen „Nada“ gewesen sein, die 1975 beim Überfall auf die Opec-Ministerkonferenz in Wien zwei Menschen erschossen hatte. Das war nicht zu beweisen: Freispruch. Ein Jahr lang mußte sie noch die Reststrafe wegen der Schüsse in Bochum aus dem Jahr 1973 abbüßen. Gabi Tiedemann habe in den letzten Jahren nie gefragt, wie es um sie stehe, sagt ihre Freundin Helmke Chiarello: „Und wie soll man jemand sagen, daß er sterben muß, wenn er überhaupt noch nicht gelebt hat?“ Gerd Rosenkranz