Kondome auf der Wäscheleine

Albaniens Akademikerinnen fordern sexuelle Aufklärung und Familienplanung. Das „Women's Health Forum“ erhebt seine Stimme  ■ Von Silvia Plahl

An dem kleinen Hintereingang zur Entbindungsstation stehen die Männer Schlange, schmauchen ihre Zigarette und scherzen laut mit Krankenschwester Dilina. Sie ist die Türsteherin vom Frauenkrankenhaus in Tirana. Die Männer wollen ihren Nachwuchs sehen, und Dilina hat darauf zu achten, daß nicht zu viele von ihnen auf einmal das „Materniteti“ betreten. In den Kreißsaal durften und wollten sie nicht. „Albanische Männer hassen die Geburt“, sagt Dilina.

Kinderkriegen ist in Albanien mit großen Risiken verbunden. Das Gesundheitsministerium vermeldet, daß die Säuglingssterblichkeit bei 16 Prozent liegt, auf zwei ausgetragene Schwangerschaften kam 1994 rein rechnerisch eine Abtreibung. Freilich sind diese offiziellen Zahlen vorsichtig zu bewerten.

Im vergangenen Juni legte das Gesundheitsministerium sein neuestes Strategiepapier vor, in dem die Versorgung von Mutter und Kind als Projekt mit Priorität deklariert wird. Den Absichtserklärungen fehlt jedoch die Basis – und es fehlt an Geld.

Seit dem Sturz des kommunistischen Regimes Anfang der neunziger Jahre ist Albanien, der letzte weiße Fleck Europas, über den Status eines Entwicklungslandes noch nicht hinausgekommen. Die Regierung präsentiert sich in einer Art Managerrolle. Die inhaltliche Arbeit leisten die NGOs, die regierungsunabhängigen kleinen Organisationen. Im Gesundheitsbereich sind das die Frauengruppen. Sie gründeten kürzlich in Tirana das Women's Health Forum. Besseren Schutz für Schwanger- und Mutterschaft fordern sie.

Im Forum haben sich Rechtsanwältinnen, Lehrerinnen, Soziologinnen, Journalistinnen und Ärztinnen wie die Gynäkologin Rubena Mouisin zusammengefunden. „Vor drei Jahren hatten wir eine Situation, da kümmerte sich niemand um die Lage der Frauen“, sagt Mouisin. „Da ging es um Veränderungen. Da haben wir beschlossen, selbst etwas zu tun.“ Die Frauen begannen mit einer Konferenz zu Familienplanung und Verhütung.

Für die meisten Albanerinnen sind das ganz neue Töne. Rubena Mouisin: „Viele haben überhaupt keine Ahnung, was Familienplanung ist. Das wissen vielleicht noch die Ärzte, das Pflegepersonal und Leute mit höherem Bildungsniveau. Nur 10 Prozent unserer Bevölkerung benutzen Verhütungsmittel.“

Vor dem Untersuchungszimmer des Materniteti drängen sich Frauen in bunten Kittelschürzen und engen Jeans. Drinnen steht der hölzerne Gynäkologenstuhl. Der Flur ist düster und muffig. „Ich bin 20 Jahre alt und möchte wissen, ob ich schwanger bin“, sagt eine junge Frau, ohne aufzublicken. Falls ja, will sie das Baby behalten. Die etwas ältere Frau neben ihr auf der Holzbank hat graue Haarschläfen und sieht erschöpft aus. „Ich bin schwanger und möchte abtreiben. Ich habe schon drei Kinder, vier können wir uns nicht leisten.“ Sie geht gleich eine Treppe höher zur Abtreibungsstation. Zehn bis fünfzehn Frauen sind es täglich.

500 Lek zahlen die Frauen für den Eingriff – etwa 7,50 Mark. Noch sind in Albanien Schwangerschaftsabbrüche bis zur zwölften Woche legal. Daran wollen auch die Frauen vom Women's Health Forum nichts ändern. Doch sie wollen, daß die Frauen Abtreibung und Familienplanung in ihrem Bewußtsein auseinanderhalten. Das ist schwierig: Viele Ärzte arbeiten gegen sie. Diejenigen, die mit Familienplanung beauftragt sind, dürfen auch abtreiben. Das bringt Geld. Mit Kontrazeptiva können höchstens Apotheken ihr Geschäft machen. Und die verlangen überhöhte Preise, obwohl Verhütungsmittel auf der Liste der preisgebundenen Medikamente stehen.

Doch bevor die Frauen artikulieren können, was sie wollen, müssen sie sich trauen, über Sexualität zu sprechen. Doch da stehen der Islam, ein starkes Patriarchat und jahrzehntelanges Schweigen im Weg. „Sexualität muß gesellschaftsfähig werden“, fordern die „Women's Health“-Frauen.

Auch sie haben ihre inneren Barrieren, doch im Blümchenkleid und mit Aktentasche wagen sie die Konfrontation.

Zum Beispiel in den Medien. Im albanischen (Staats-)Fernsehen hatte neulich eine Aufklärungsreihe Premiere. „Wie bekomme ich Verhütungsmittel?“ – „Was ist ein Kondom und wie benutze ich es?“ Sechs Wochen lang strahlte die Television Shquiperia eine Stunde täglich sexuelle Aufklärung aus.

Das Stadt-Land-Gefälle in Albanien ist sehr hoch. Man weiß in Tirana kaum etwas vom Leben der Menschen in den Bergen. „Die Leute dort waschen die Kondome, hängen sie an die Wäscheleine und verwenden sie mehrmals“, erzählen einige. Auch die Gynäkologin Rubena Mouisin zuckt mit den Schultern. „Deswegen setzen wir so penetrant auf unsere Fernsehsendung. Mit dem Fernsehen können wir 80 Prozent der Bevölkerung zumindest mit den Grundinformationen erreichen.“ 80 Prozent fernsehschauende AlbanerInnen, die aufgeklärt werden – das ist eine Traumquote, die niemand bestätigen kann. Nirgendwo existieren Statistiken, die halbwegs verläßlich wären.

Auch das wollen die Gesundheitsfrauen ändern. „Wir brauchen Untersuchungen über das sexuelle Verhalten der Frauen auf dem Land“, fordert die Soziologin Zamira Cavo. „Wir brauchen Informationen über ihre Familiensituation, über die Sozialstrukturen dort. Wir müssen wissen, was die Frauen in den Bergen denken, wie ihr Alltag aussieht. Kaum eine von uns weiß Genaues über die Blutfehden dort oben.“

Es ist, als müßten die „Women's Health“-Frauen ihre Adressatinnen erst aufspüren. Wie ein Nebelschleier senkt sich in Albanien die nicht existierende Infrastruktur über jeden Versuch einer zukünftigen Gesundheitspolitik. Die „Women's Health“-Frauen tragen ihre Ideen zusammen, entwickeln Programme – und hoffen, daß sie von den Frauen wahrgenommen werden.

An einer Tür in dem riesigen Materniteti in Tirana hängt ein kleiner Zettel: „Soziale Beratung von 9 bis 12 Uhr“. Das ist der letzte Raum vor dem Eingang zur neuen Station „Familienplanung“. Viele Frauen gehen erst durch diesen Eingang, nachdem sie mit der Sozialpädagogin gesprochen haben. Dann, wenn ihnen klar ist, daß sie nun keine Kinder mehr haben wollen, dann, wenn sie sich für eine Abtreibung entschieden haben. Die wenigsten Besucherinnen des Familienplanungszentrums kommen vorher.

Zwei kleine Aufklärungsbroschüren liegen auf einem Tischchen. Eine erklärt das Einsetzen einer Spirale, auf der anderen steht „Preservativi Profilaktiku“. Eva Sahatce wartet hinter ihrem großen Schreibtisch auf Ratsuchende, vor ihr ein winziges Modell des weiblichen Unterleibs. „Wir zeigen Ausstellungen und Videos, verteilen Kontrazeptiva und veranstalten Seminare“, sagt Eva Sahatce. „Wir führen auch Verhütungskarteikarten für die Frauen, die kommen.“ Ganz selten seien es Paare. Und wenn dann wirklich mal ein Mann dabei sei, könne man nicht über die Schwierigkeiten mit Kondomen sprechen, sondern nur über Verhütungsmethoden für Frauen.

Bei durchschnittlich 2,9 Kindern pro Albanerin ist die Kinder- Statistik inzwischen angelangt. Wobei schon von 1960 bis 1990 die Rate von sechs auf drei Kinder pro Familie „ganz natürlich“ zurückgegangen war.

„Ihnen muß außerdem klar werden, daß die Gesundheit der Familie in ihren Händen liegt, daß die Frauen die Verantwortung dafür tragen“, formulierte das Women's Health Forum. Die Gesundheitsexpertinnen wollen bald eine starke, einflußreiche Gruppe sein. Alle möglichen Frauen-NGOs, erfaßt und koordiniert im neuen Women's Centre, haben sich zu einem Forum zusammengeschlossen. Egal ob sie politisch orientiert sind oder nicht – die „Professional and Business Women“ etwa oder die „Women's League of the Ex-Politically Persecuted“.

Das alles kostet Geld. Vom Staat aber ist kein Zuschuß zu erwarten – selbst die Krankenhäuser halten sich nur mit Hilfe ausländischer Organisationen wie den „médecins sans frontières“ oder den Vereinten Nationen mühsam über Wasser. Ihr Minimalkapital bekommen die „Women's Health“-Frauen von dem britischen Börsenspekulanten George Soros und dessen Stiftung „Für eine offene Gesellschaft“. Soros gibt sein Geld mit Vorliebe nach Osteuropa, die Stiftung hat er 1984 in Budapest gegründet.

In Tirana residiert sie in einer feudalen städtischen Villa und unterstützt von dort aus zahlreiche soziale Projekte. Die albanische Regierung beobachtet das mit Argwohn, denn Soros' „Offene Gesellschaft“ bedeutet offiziell für ihn, liberales, tolerantes Denken zu fördern. Hinter der Hand wird ihm in Albanien vorgeworfen, nur „alte SozialistInnen“ zu begünstigen.

Den Gesundheitsfrauen scheint das egal zu sein. Sie treiben ihre Aufklärungsarbeit voran und wünschen sich noch mehr Sponsoring aus dem Ausland. Weitere TV- Sendungen zu Schwangerschaft, Mutterschaft, zu Brustkrebs sowie über Mißstände in der Gynäkologie sollen folgen, aber auch die Einrichtung eines Frauenhauses in Tirana. Die Frauen wollen außerdem schon jetzt die „neuen Gefahren“ wie Aids oder sexuell übertragbare Krankheiten mitdiskutieren. Sechzehn HIV-Positive gibt es im Moment offiziell in Albanien, davon sind zwei Frauen. Eine von ihnen ist vor ein paar Wochen gestorben. Die Dunkelziffer der HIV-Infizierten wird auf etwa tausend geschätzt. Wie es in den Gefängnissen und in den Kasernen aussieht, weiß niemand. Auch solche Mauern wollen die „Women's Health“-Frauen durchbrechen. Und für danach planen sie einen exotischen Tabubruch: Sie wollen psychische Probleme der Frauen öffentlich ansprechen, etwa die postnatale Depression. Niemand nahm „so etwas“ bisher ernst. Rubena Mouisin: „Warum sollen wir also nicht auch mal dazu etwas sagen? Die Stimme von uns Frauen zählt nicht so viel im Land. Aber gemeinsam sind wir lauter.“