„Diese Lektion wird man noch lernen müssen“

■ Interview mit Rechtsanwalt Len Weinglass. Er ist einer der Verteidiger des in Pennsylvania zum Tode verurteilten schwarzen Radiojournalisten Mumia Abu-Jamal

taz: Seit vorgestern liegen die Akten von Mumia Abu-Jamal beim Obersten Gericht von Pennsylvania. Welche Chancen hat er?

Len Weinglass: Dieses Gericht hat Mumias Fall schon einmal verworfen, sehr optimistisch sind wir also nicht. Aber danach wird der Fall vor ein Bundesgericht gehen, wo in der Regel bessere Bedingungen herrschen. Wir haben unsere Argumentation, daß das Verfahren neu aufgerollt werden muß, auf 22 Punkten aufgebaut. Außer dem Verfahrensfehler, daß Mumias politische Aktivitäten thematisiert wurden, sind auch systematisch elf qualifizierte schwarze Mitglieder aus der Jury eliminiert worden, bis er in dem zu fünfzig Prozent von Schwarzen bewohnten Philadelphia nur noch zwei schwarze Geschworene hatte.

Kaum ein Todeskandidat in den USA hat so viele Solidaritätsbekundungen erfahren wie Mumia Abu-Jamal. Warum?

Mumias Fall ist deshalb politischer, weil die Geschworenen im Prozeß 1982 erst dann für „schuldig“ stimmten, nachdem ihnen widerrechtlich gesagt worden war, daß Mumia ein Mitglied der „Black Panther“-Partei gewesen war. In einem vergleichbaren Fall von 1991 in Delaware, als über ein Mitglied der weißen, rassistischen Organisation „Arian Brotherhood“ die Todesstrafe verhängt wurde, ist der Oberste Gerichtshof dagegen eingeschritten, weil die Jury nicht von den politischen Aktivitäten des Angeklagten hätte erfahren dürfen.

Die Kampagne für Mumia war lange eine Sache der radikalen Linken; aber vor der geplanten Hinrichtung im August hatte sich selbst Klaus Kinkel engagiert...

Das hat sich im vergangenen Jahr geändert, nachdem Mumias Hörfunkbeiträge in nationalen Radiosendern nicht mehr ausgestrahlt wurden, weil die Polizei dagegen demonstriert hatte. Die bürgerlichen Medien wurden nicht wegen Mumias Fall aufmerksam, sondern weil hier die Redefreiheit eingeschränkt worden war. Als Gouverneur Tom Ridge den Hinrichtungsbefehl unterzeichnete, galt das Interesse vor allem dem Umstand, daß ein Radiojournalist getötet werden sollte.

O. J.Simpson ist gerade freigesprochen worden. Hat das Auswirkungen auf das Verfahren gegen Mumia Abu-Jamal?

Manche Leute glauben, daß Mumias Fall jetzt auch positiv entschieden wird, um Philadelphia zu retten. Nicht nur vor Aufständen wie in Los Angeles, sondern ökonomisch. Philadelphia ist eine neue Touristenhochburg; ein Boykott wäre eine Katastrophe. Wenn sich, was abzusehen ist, die sozialen Bedingungen der Afro-Amerikaner weiter zuspitzen, wird in den USA kein anderes relevantes Thema mehr existieren. Diese Lektion wird man dort noch lernen müssen; O. J. Simpsons und Mumias Fälle sind dabei wohl ganz hilfreich.

Aber kann man denn beide Verfahren so einfach vergleichen?

Beide Fälle beweisen, daß die Rassenfrage alle anderen Faktoren hinter sich läßt. Nachdem O. J. Simpsons Jury zusammengestellt war, war es unwahrscheinlich, daß er verurteilt würde. Nachdem Mumias Jury feststand, war es unwahrscheinlich, daß er laufengelassen würde.

Hat denn die ganze internationale Mobilisierung für Mumia Abu-Jamal noch Sinn?

Es nutzt erfahrungsgemäß nichts, die Gerichte unter Druck zu setzen. Aber wir brauchen dringend Geld. Die Kosten des Verfahrens werden irgendwann zwischen einer viertel Million und zwei Millionen Dollar betragen – bisher haben wir aus Spenden 125.000 Dollar beisammen. Soviel hat O. J. Simpson einem einzigen Zeugen bezahlt. Es gibt keine reichen Leute in den Todeszellen, O. J. Simpson wäre der erste gewesen. Interview: Ulrike Winkelmann