Für London Leben, für Brüssel nichts

■ Ganz eurokritisch appellieren die britischen Tories auf ihrem Parteitag in Blackpool an die nationalen Instinkte

London (taz) – Die Show war bühnenreif: Auf einem Bein hüpfte der stellvertretende britische Premierminister Michael Heseltine gestern mittag beim Tory- Parteitag in Blackpool neben dem Rednerpult herum. Ziel seines Spotts: Die Labour Party, die „einbeinige Armee“, die der Regierungspolitik müde hinterherhinke. Die Delegierten feierten „Tarzan“ – wie er wegen seiner blonden Mähne genannt wird – mit stehenden Ovationen, wie sie auf diesem Parteitag bisher noch niemand bekommen hatte. Heseltines halbstündige Attacke auf die Opposition zeigte die Marschrichtung für den kommenden Wahlkampf: Die Bildungspolitik und die Privatisierungen werden die Hauptthemen sein. Die Eisenbahngesellschaft British Rail wird trotz aller Kritik verscherbelt, schon im Frühjahr soll es losgehen.

Europa spielt zu Premierminister John Majors Erleichterung bei den Tories nur noch eine untergeordnete Rolle. Das liegt aber nicht daran, daß Major durch seinen taktischen Rücktritt als Parteichef im Juli den rechten Flügel in die Schranken verwiesen hätte, sondern „wir sind jetzt alle Euro- Skeptiker“, wie es der ehemalige Schatzkanzler und Major-Feind Norman Lamont ausdrückte. Der früher gemäßigte Außenminister Malcolm Rifkind schlug am Dienstag vormittag deutliche anti-europäische Töne an, wurde am Nachmittag jedoch von Verteidigungsminister Michael Portillo um Längen übertroffen.

Mit einer glühenden euro-feindlichen Haßtirade gedachte Portillo verlorenen Boden gutzumachen: Im Juli hatte ihm sein Ministerkollege John Redwood vorübergehend den Rang als Rechtsaußen abgelaufen, weil er gegen Major im Kampf um die Parteiführung angetreten war. Vorgestern setzte Portillo – ebenso wie Labour-Chef Tony Blair in der vergangenen Woche – auf die patriotischen Instinkte der Delegierten und der WählerInnen. Britische Soldaten seien bereit, ihr Leben für Großbritannien zu geben, aber nicht für Brüssel, rief Portillo und fügte hinzu: „In der ganzen Welt bekommen unsere Feinde eine Gänsehaut, wenn sie die drei Buchstaben sehen: SAS. Diese Buchstaben beinhalten eine Warnung:„ Mach Britannien nicht an!“ Das war an die Adresse des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gerichtet: Der hatte der Elitetruppe SAS vor kurzem vorgeworfen, in den achtziger Jahren drei unbewaffnete IRA-Mitglieder in Gibraltar gesetzeswidrig erschossen zu haben.

Portillos Rede war, wie der Guardian gestern bemerkte, weitestgehend frei von Inhalten. Aber darum geht es bei Tory-Parteitagen auch nicht. Anders als bei der Labour Party, bei der die Ortsverbände laut Satzung zumindest Themenanträge für die Parteitags- debatte stellen können, macht das bei den Tories der Vorstand selbst. Außer Schulterklopfen ist deshalb nichts zu erwarten. Einmal kommen in dieser Woche aber auch die Ortsverbände zum Zug: Aus den Hunderten von Anträgen wird ein einziger aus einer Lostrommel gezogen, der heute nachmittag debattiert wird. Ralf Sotscheck