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Mondmeilen und Konsum

■ „Stint“-Poesie in der Lloyd-Passage sich

Beim Fischbräter „Gosch Sylt“ in der Lloyd-Passage erholen sich wie immer die besseren Angestellten vom Langen Donnerstag-Shopping bei Sekt und Seefisch. Konsumierende Karawanen ziehen durch die verglaste Einkaufsmeile, nichts Böses ahnend. Dabei ist die Passage sechs Wochen lang poetisch vermint. Textauszüge aus Bremens Literaturzeitschrift „Stint“ locken als großformatige Plakate, angebracht an den zahlreichen Säulen der Halle.

„Feierabend“, „Masuren“, „Vogelbeeren“, „Blümelein“, „Mondmeile“ – disparate Begriffe sollen achtlos hingeworfene Seitenblicke des Passagen-Publikums auffangen – und aufhalten. Wer dann stehenbleibt, um hinter die Bedeutung der Titel zu kommen, steht vor Poesie. Vor Gedichten von Konrad Weichberger, Amanda Aizpuriete und Greta Schoon. Und vor Texten von Wilhelm Genazino und Max Goldt. Allesamt AutorInnen, die in den nunmehr 18 erschienenen Ausgaben des „Stint“ zu finden sind. Texte, die allemal gut sind für geistige Irritationen und vorübergehende Orientierungsschwierigkeiten beim geneigten Lesepublikum, das im besten Falle länger nachdenklich verweilt inmitten des Trubels. Andere werden verärgert den Kopf schütteln, wollten sie doch bloß Weichspüler holen und nicht mit Zeilen wie „Wer zuzahlt, dem glüht noch das Biwakfeuer des Herbstes“ aus der Bahn geworfen werden.

Natürlich bleibt kaum einer stehen. Die der reinen Konsum-Befriedigung ausgesetzte Passage wird schließlich regelmäßig mit etwas kulturellem Leben zu füllen versucht. Nur daß eben diesmal der Kontrast zwischen weltzugewandtem Kaufrausch und intellektuellen Höhenflügen schön deutlich ist. Schön auch, daß das seuchenartig sich ausbreitende Amalgam zwischen Kunst, PR und Werbung bei der Stint-Aktion erfreulicherweise außen vor bleibt. „Noch am ehesten machen die Frauen halt“, hat Bernd Gosau, Stint-Redakteur, beobachtet, als er am Donnerstag abend an der Lloyd-Passagenkreuzung mit musikalischem Rahmenprogramm und Rezitationen versuchte, die Aufmerksamkeitsströme in die gewünschte Richtung zu lenken. Und natürlich auch den Verkauf seiner Zeitschrift (Auflage: 1000 Exemplare). Die Menschentrauben bei „Gosch Sylt“ haben zwar nicht den Kopf gedreht, um mal einen Blick auf die Plakate hinter ihrem Rücken zu investieren, aber ein Mesch im Blaumann hat kurz vor einer Poesie-Säule haltgemacht. Die Poesie hat kleinste Terraingewinne hoch zu schätzen...

Alexander Musik

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