Wand und Boden
: Der kurze Loop tendiert zur Folter

■ Kunst in Berlin jetzt: Christa Näher & Schüler & Schülerinnen, Filmcuts, Raoul de Keyser

Die Treppe, über die man gewöhnlich ins Haus am Lützowplatz gelangt, ist mit einem ebenso nachgiebig-weichen wie unüberwindlichen Boll- oder vielmehr Wollwerk versperrt. Hat Charlotte Malcolm-Smiths mit typisch weiblicher Tücke das Netz gehäkelt, oder bot sich der stählerne Gang einfach als bester Exponatenträger an? Jedenfalls heißt es, einen anderen Weg finden zu der Ausstellung, die der westliche, weibliche Kontrapunkt zu einer früheren, östlich orientierten ist. Christa Näher, Malerin eines ehemals neuen wilden Mythos von Mann-Tier-Gewalt und Weib- Tod-Eros, Professorin an Frankfurts Städelschule, und ihre SchülerInnen setzen die Gruppenpräsentation nach „Wolfgang Peukert, Schülerinnen & Schüler“ fort. Die Verbindung zwischen der Westkunst und der stark von der Leipziger Schule Tübke, Heisig, Mattheuer geprägten Ostkunst ist allerdings so löchrig wie Malcolm-Smiths' Maschennetz.

Die SchülerInnen von Näher zeigen sich erwartungsgemäß unübersichtlich, stilvielfältig, materialplural, bizarr, trashig und ziemlich zeitgemäß. Geistesgegenwärtig sind die interessantesten Arbeiten, und sie beschäftigen sich in auffälliger Weise nicht mehr mit dem Körper, sondern seiner textilen Hülle. Leere Ballett-Tutus oder eine Art Velazquezscher Infantinnenrobe werden auf Franziska Kneidls kleinformatigen Tafelbildern in körperlose Farbflächen und Malgesten übertragen. Auch bei Astrid Strickers sparsamer Bleistiftzeichnung „Frau zeigt ihre Brüste“ (1995) ist es ziemlich unentschieden, ob diese Brüste Körperteil oder Kleidungsstück sind. Und bei Peter Lütjes „Solange“ (1995) technofizieren drei blaue Adidas-Streifen die selbstverständlich orangefarbene Schaumstoffwurst. Die brave Holzkonstruktion der sechs Paar Insektenbeine negiert das aber wieder. Max Mohrs aufgespannte grüne Strickjacke von 1989, deren zugenähte und ausgestopfte Ärmel wie schrecklich lange Hängebrüste wirken, legt den Gedanken an Prothesenhilfe nahe, dem er in seinen aktuellen Arbeiten mit Plastazotte-Gewebe nachgeht. Wirken Mohrs frühe Arbeiten recht roh, sind die aktuellen „Paradiesprothesen“ ausgesprochen witzige, elegante Salontörtchen, auch wenn die „Kleine Zunge“ (1995) davon nur die minimalistische Andeutung ist. Reduziert, ausdruckslos und gegenläufig zum Genre hat Henrik Olesen seine Foto-Plakate angelegt. „Schadowstraße 10/E.G. F.f.m.“ (1995) vereint ein River-Phoenix- Poster und E.T., der auf einem tiefbraunen Sessel kopfsteht.

Bis 5.11., Di.–So. 11–18 Uhr, Lützowplatz 11–13.

E.T. ist auch bei einer weiteren Gruppenausstellung vertreten, aber ganz anderer, neuer Art ist: „filmcuts“ bei neugerriemschneider. Anderer Art darf man wörtlich verstehen. Denn die in der Schau vertretenen Künstler arbeiteten mit dem ihnen professionellerweise eher fremden Medium Film. Alltägliches Sozialisationsmedium ist er gleichwohl. Daher fragte Tim Neuger rund 45 befreundete Künstler nach der bedeutsamsten Sequenz aus einem ihrer Lieblingsfilme. Diese Sequenz, die zwischen zwei Sekunden und fünf Minuten dauern durfte, wurde zu einem zweistündigen Loop aneinandergeschnitten. Seit Dienstag laufen in der Galerie jeden Tag drei dieser Zweistundenloops. Natürlich tendiert ein Loop von solcher Zeitspanne in Richtung Folter. Zum Beispiel die wohl kürzeste Sequenz mit Keanu Reeves, der in nervtötender Konsequenz nichts weiter behauptet, als ein FBI- Agent zu sein (Angela Bulloch – Point Break). Interessant ist zu beobachten, auf welcher Ebene die Künstler ansetzen. Einige fasziniert der Loop an sich: Beim Fahrstuhl, der endlos in die Tiefe fährt, verraten nur die Anfangstitel den Schnitt (Frances Stark – Speed). Beim Monster, das aus der Höhe der Gothic Cathedral in die Straßenschlucht hinabstürzt, wird nicht nur der Moment eines sich minimal weitenden Rückwärtszooms genutzt, den Schnitt zu negieren, sondern auch die kunsthistorische Ambition von Hollywood peinlich deutlich (Bettina Allamoda – Gremlins 2). Überhaupt entlarvt der Loop den Film, plötzlich hört man, wie bombastisch die Musik ist (Nader – Le Mépris), allerdings auch, wie ruhig die Ruhe. Oder man entdeckt einen grünen VW-Käfer, der in einer Verfolgungsjagd gleich viermal im Bild ist, was die Rasanz der Szene in ein getrickstes Kunststück mildert (Johannes Wohnseifer – Bullit). Andere setzten auf der Ebene der formalen Selbstreflexion an: Das Problem, einen Kreis mit Motorrad zu zeichnen, führt zu einer bedenklich perfekten Schleife in beiderlei Hinsicht (Thomas Zipp – Mad Max). Und gestern, am Freitag, den 13. – purer Zufall, aber was heißt das schon –, gelang es einem der aktuellen YBAs (Young British Artists), per Filmschleife eines seiner Bilder zu malen (Peter Doig – Friday the 13th). Da wird der Zweistunden-Loop zu einer großartigen Meditation: Nicht Terror, sondern Zen oder die Kunst, alle Filmcuts zu sehen, ist die Herausforderung der Ausstellung, denn sie hat es in sich.

Bis 28. 10. Di.–Sa. 11–18 Uhr, Goethestr. 73.

Nicht nur ganz und gar solo dagegen der Belgier Raoul de Kayser in der daad-Galerie, sondern auch sehr allein. Jedes Bild ist eine Insel, die auf die Leinwand sehr präzise mit ausreichend Pinselstrichen gemalt wurden – aber auch mit keinem zuviel. Dreimal „Bern–Berlin“, das heißt rechteckig einander zugeordnete Farbflächen, mal pures Rot, mal Mischungen, bei denen ein Braun noch durch ein Grün durchschimmert und ihm auch einen kleinen Rahmen gibt. Beim längeren Betrachten evozieren die Flächen ein Gefühl, als liefe man entlang der Wand. Auf anderen Bildern öffnet sich eine weiße Linie auf grünem Grund zu einem Winkel von über 90 Grad: das ergibt nicht ohne guten Grund ein „Monument“. „Ground“, ebenfalls Weiß auf Grün, zeigt eine Feldmarkierung, die ein (Fußball-, Handball-, Hockey- etc.-)Tor umgrenzen könnte. Die Strenge dieser, eigentlich richtigerweise so benennbaren Malfeldmarkierungen mildert sich bei einigen Bildern in gegeneinander gedrehte Schlangenlinien oder Farbtupfer. Bei „Emile“ allerdings droht das Dekor: Grün sitzt auf Grün, in einer zu gleichförmigen rhombusartigen Anordnung.

Bis 25.10., tägl. 12.30 –19 Uhr, Kurfürstenstraße 58. Brigitte Werneburg