Pathos des Triumphs

■ Ungeniert und bizarr: Zeitgenössische Kunst aus Polen im Berlin-Austausch

Der Mann hat schwere Last. Extensiv hat er seinen Schwanz im Penis-Expander trainiert, und jetzt hängt er dem holden Jüngling lang und schlaff zwischen den Beinen wie ein Pferdepimmel nach der Erektion. Zum Stehen bekommt er ihn wohl nicht mehr. Zbigniew Libera hat in seiner Installation auf den Punkt gebracht, was Männer in Bodybuilding-Studios treibt, die sich scheinbar auch in Polen großer Beliebtheit erfreuen. Die Stärkung des Körpers dient als Lösung aller Minderwertigkeitskomplexe; und wem der Aufwand am Turngerät zu mühsam ist, kann gleich zu den ebenfalls vom Künstler bereitgestellten Placebozäpfchen greifen.

Trotz einiger Unkenrufe ist die Demonstration am Objekt zur Eröffnung der Ausstellung „New I's For New Years“ im Künstlerhaus Bethanien ausgeblieben. Doch Liberas Arbeit steht auch ohne die Probe aufs Exempel am ungeniertesten für das Motto der Show. Mit neuen Blicken haben sich elf junge polnische KünstlerInnen auf die Suche nach neuen Identitäten in einer neuen Zeit begeben. Die Zeiten, sich seine künstlerischen Freiheiten gegen staatliche und kirchliche Doktrinen bewahren zu müssen, sind vorbei. Opposition allein ist nicht mehr gefragt.

Der polnischen Avantgarde gelingt geradezu spielerisch, womit sich die KünstlerInnen der ehemaligen DDR noch heute schwertun. Etwa Piotr Jaros' Triumphzyklus, eine Art groteske Ahnengalerie: Auf überlebensgroßen Schwarzweißfotografien agieren Männer in pathetischen Haltungen absolutistischer Herrscherporträts. Köpfe, die ihrethalben gerollt sein mögen, haben sie sich unter den Arm geklemmt oder unter Glas als Jagdtrophäe an die Wand gehängt. Jaros' Botschaft könnte folgende sein: von politischen Wenden profitieren immer nur die Angepaßten. Sie sind es, die in bewährter Manier absahnen.

Piotr Jaros ist auch bei einer Ausstellung vertreten, die heute im Podewil eröffnet wird. „Unter einem Dach“ stellen sich dort eine Woche lang zehn polnische Galerien und zwei Kunstzeitschriften vor. Absicht der Präsentation ist es nicht allein, etwa fünfzig verschiedene KünstlerInnen zu zeigen, sondern den polnischen Galerien auch ein Forum zu bieten, auf dem sie ihre bisherige Arbeit dokumentieren und Kontakte mit Berliner Galerien und Kulturinstitutionen knüpfen können. Die Galeristen werden deshalb für Austausch und Gespräche jeden Tag anwesend sein.

Ihre Galerien, die heute in Polen Zentren anspruchsvoller zeitgenössischer Kunst sind, bestehen bereits seit den frühen 80er Jahren und sind nahezu alle aus privaten KünstlerInneninitiativen entstanden. Da sie sich eher als kommunale institutionelle Einrichtungen verstehen, die allein vom Enthusiasmus der Beteiligten existieren, haben sie auf dem kommerziellen Kunstmarkt kaum Überlebenschancen. Doch ihren Non-profit- Status wollen sie sich erhalten. Wie sie sich daher auf dem marktwirtschaftlichen Kunstmarkt halten und KünstlerInnen weiterhin einen Freiraum zum Ausstellen bieten wollen, wird erst die Zukunft zeigen. KünstlerInnen, die heute über Existenznöte klagen, werden sich vielleicht schon morgen mit den Verkaufsgalerien zusammenschließen, die in Warschau überall aus dem Boden schießen – ein knappes Dutzend seit 1990. Noch befinden sich die polnische Kunst und der Kunstmarkt aber in einer Situation, die alles erlaubt. Im Deutschen gibt es für einen solchen Zustand ein Synonym, das man in diesem Fall getrost wörtlich nehmen darf: „Jetzt ist Polen offen.“ Petra Welzel

„New I's For New Years“, polnische Kunst der 90er Jahre, bis 19.11., Di.–So. 14–19 Uhr, Künstlerhaus Bethanien, Mariannenplatz 2, Kreuzberg; „Unter einem Dach“, zehn polnische Galerien zu Gast im Podewil, bis 21.10., 14–20 Uhr, Klosterstraße 68/70, Mitte. Dazu Symposien: „Das Ende der Ästhetik des Widerstands? Polnische Kunst nach 1945“, Künstlerhaus Bethanien, 14.10., 10 Uhr; „Kunstvermittlung in Polen und Vermittlung polnischer Kunst“, Podewil, 15.10., 15 Uhr.