Treffen mit Soundso

Der Masse gegenüber fühlt man sich peinlich ambivalent, erst die Prominenz bringt Halt ins Gewimmel. Ein Rundgang durch die subtile Ausstellungspädagogik der Frankfurter Buchmesse  ■ Von Jörg Lau

Eine Funktion der Frankfurter Buchmesse – in Leipzig geht es immer noch um andere Dinge (östliche Identität) – liegt darin, die immer wieder behauptete Nähe von Vernunft und Wahnsinn ganz handgreiflich spürbar werden zu lassen. Man könnte meinen, bei der nur auf den ersten Blick zufälligen Anordnung der Stände walte ein Wille zum ganz feingegliederten Konzept. Man könnte meinen, hier sei eine subtile Ausstellungspädagogik am Werk, die uns ganz beiläufig beim Flanieren die Einsicht lehren will, das Normale und das Pathologische seien bloß willkürliche Schemata, die die Gesellschaft der eigentlich unfaßbaren Mannigfaltigkeit der Einstellungen und Verhaltensmuster aufzwingt.

Man wundert sich manchmal, daß die Ausgestellten sich nicht wehren, daß man sie in solch subversive Nachbarschaften stellt. Merken die katholischen Verlage nicht, welch perfider religiöser Relativismus am Werke ist, wenn sie in der Nähe der Esoteriker plaziert werden, die vor Erdstrahlen warnen und mit Magnetismus zu heilen versprechen?

Merken die Rechtsradikalen und Volkstümler nicht, wie man sie ganz sanft auf ein Folklore-Element unter vielen anderen reduziert, wenn man sie in eine Halle mit dem Mirapuri-Verlag packt, der sich „dem Werk von Sri Aurobindo und Der Mutter“ verschrieben hat – das jetzt auch auf Video-CD vorliegt?

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Hier lernt man, daß das eine ohne das andere nicht zu haben ist, denn wer etwa zu den lichten Gefilden des S. Fischer Verlags durchdringen will, wo man das Werk Freuds pflegt, der muß den Stand jenes Werner Sprenger passieren, der allerlei „Schleichwege zum Ich“ gefunden zu haben behauptet und nun allzu ichstark herausposaunt: „Ich lernte zu leben“.

Und wer zum Hanser Verlag will, um auf den mit dem Nobelpreis gekürten Lyriker Seamus Heaney anzustoßen, kommt auch bei jenen beiden mild entrückten Müslitypen vorbei, die den Passanten auffordern: „Pflück dir ein Gedicht.“ Gedichte sind es dann aber eigentlich nicht, die man dort bekommt, sondern sind vielmehr fotokopierte Zeitungsartikel, und man möchte lieber nicht so genau wissen, nach welchem gewiß recht ausgefeilten System sie ausgesucht wurden.

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Nicht nur am Rande, sondern auch innerhalb der großen Verlage, innerhalb des Establishments der Schriftkultur, hat das Abgedriftete seinen Ort. Horst Eberhard Richter etwa, der einmal als gesellschaftskritischer Psychoanalytiker begonnen hatte, wirkt immer yogimäßiger, wozu sicher auch sein weithin leuchtender schlohweißer Haarschopf einen wesentlichen Beitrag leistet.

Wie er da am Stand von Hoffmann und Campe sitzt, wirkt er sehr rein und weise, fast durchsichtig. Von außerirdischer Abgeklärtheit auch der Titel seines neuen Werks, eines sicher wieder ziemlich flammenden Appells zur Nonkonformität: „Bedenken gegen Anpassung“. Offensichtlich ist Richter sich der Komik nicht bewußt, die es bedeutet, unter diesen Tausenden von Randexistenzen zarte Bedenken gegen Anpassung zu äußern.

Er sollte sich mal ein bißchen umschauen. Gleich um die Ecke haben es sich die freundlichen Freaks vom „Nachtschatten“-Verlag in ihren abgefahrenen Space- Hemden bequemgemacht und ziehen sich einen nach dem anderen rein. Ihr Angebot ausgesuchten Schweinkrams weist als Spitzentitel das Buch „Geschlecht als Existenzweise“ auf. Das klingt gefährlich, aber sollte man mit solcher Existenzweise scheitern, hält der Nachbarverlag milde Remedur bereit: „Die Psyche streicheln“. Wir nehmen vorsichtshalber gleich beide Titel mit.

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Die Prominenten sind natürlich extrem wichtig für die Messe. Wohl nicht wirklich deshalb, weil sonst weniger Aussteller und Besucher kämen. Die Masse genießt sich hier selber, und die Prominenten sind mehr ein Vorwand zu diesem Selbstgenuß, wie bei allen großen Spektakeln.

Die Prominenten sind vor allem deshalb wichtig, weil sie in dem unfaßlichen Gewimmel Halt und Orientierung geben. Gegenüber dem dem Gros der Messebesucher befindest du dich ja in einer peinlichen Ambivalenz – ist das nicht Soundso vom Soundso-Verlag, aus dessen Programm wir seit Jahren nichts mehr besprochen haben? Und der da, ist das nicht der freie Autor Soundso, dessen Artikel du nie druckst, und der dich jetzt womöglich gleich persönlich stellen wird?

Angesichts von Prominenten ist dann plötzlich alles klar: Das ist Harry Mulisch, man sieht es an der Pfeife. Und das ist Günter Grass, auch das kann man an der Pfeife sehen. Und da: Roger Willemsen, Ulrich Wickert, Peter Rühmkorf, Ulrich Greiner und Sigrid Löffler treiben unverkennbar in regelmäßigen Abständen vorbei, und schon fühlst du dich daheim in der Welt.

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Manchmal sind Begegnungen mit Prominenten auch verstörend. Beim Rowohlt-Empfang tauchte, nachdem sein Fehlen bereits von Verlagschef Michael Naumann entschuldigt worden war, spät noch Rudolf Scharping auf. Es ist nicht zu verstehen, warum er im Fernsehen immer so sparkassenfilialleitermäßig herüberkommt.

Auf freier Wildbahn wirkt er nämlich keine Spur bräsig, sondern augesprochen jugendlich, kregel, interessiert. Seltsam, daß er solche Häme auf sich zieht, nicht zuletzt aus unseren Kreisen. Frank Schirrmacher, Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen und aus anderen Gründen ein Schreckgespenst dieser Szene, fand sich wohl mehr zufällig beim Empfang der Monde diplomatique am taz-Stand ein. Er wurde von einem Bekannten gesichtet, herangewinkt, und konnte sich nicht mehr entziehen.

Nach einigem Bohren gestand er den verlegerischen Neid auf dieses Projekt ein, das er „ganz toll“ finde. Das können wir der Öffentlichkeit natürlich nicht vorenthalten, zumal kaum die Gefahr besteht, daß unsere eifrigen Leser uns deshalb der Kumpanei mit dem System für überführt halten könnten: Denn wer die wirtschaftspolitischen Kommentare der Monde diplomatique kennt, weiß, daß sie mit dem Frankfurter Kurs absolut unvereinbar sind.

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Mit den zahllosen Lesungen wollen wir Sie lieber verschonen. Eine Diskussionsveranstaltung vom Donnerstag muß der taz-Leserschaft allerdings getreulich rapportiert werden, weil darin endlich das Geheimnis des Wechsels von Arno Widmann zur Zeit enthüllt wurde.

Widmann, Mitbegründer dieser Zeitung, langjähriger Kulturredakteur und zuletzt Chefredakteur, saß nun als Feuilletonchef der Zeit auf dem Podium im Saal „Allianz“, um mit Gustav Seibt (FAZ), Johannes Willms (Süddeutsche Zeitung), Stephan Sattler (Focus)

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und Angelika Hoyer (Leipziger Volkszeitung) über die Zukunft des Feuilletons zu debattieren.

Dabei kam wie üblich heraus, daß das Feuilleton nichts so sehr fürchtet wie den Verfall der Bildung, den Sieg der Meinung über die Sachkenntnis, den Triumph des Unterhaltungsbedürfnisses über die Hierarchie des Wichtigen, das finale Diktat der Eitelkeit – in anderen Worten: sich selber.

Johannes Willms plädierte dafür, daß die Feuilletons in Zeiten zunehmender Unübersichtlichkeit, „um ein Wort von Jürgen Habermas zu zitieren“, dem Menschen Orientierung geben sollten. Darauf konterte Widmann, das traue er sich nicht zu, und außerdem solle man sich doch klarmachen, wie man zu einer Feuilletonistenkarriere komme.

Alles beginnt, so Widmann, damit, daß man gerne Bücher umsonst haben möchte. Also fängt man früh damit an, Rezensionen zu schreiben. Und tatsächlich, man bekommt Bücher umsonst. Es werden mehr Bücher, also braucht man eine größere Wohnung. Es hört aber nicht auf, es kommen im Gegenteil immer noch mehr Bücher, und die Wohnungen werden entsprechend immer größer und teurer. Am Ende hat man keine andere Wahl und muß schließlich Feuilletonchef bei der Zeit oder der SZ werden, um ein schlimmes Ende abzuwenden.

Ach, Arno, hättest du uns zu deinen taz-Zeiten doch ein Wort gesagt!