Out of Böblingen

Vor den Klippen der ersten Studienwochen warnt  ■ Christiane Habermalz

Du kommst zumeist aus einer Kleinstadt im Schwarzwald und denkst, du hast dich, das Leben und die Zukunft im Griff. Du warst immer gut in der Schule und erfolgreich im Sportverein, der Schüleraustausch mit Frankreich hat die nötige Weltoffenheit gefördert, und nun kommt das Studium. Hurra, die schönste Zeit des Lebens – wie einem die Eltern und der Onkel mit dem Schmiß in der Wange vorschwärmen. Doch dann ist alles ganz anders, und vor allem: tierisch anstrengend.

Du kannst ein erhabenes Gefühl nicht unterdrücken, als du das erste Mal, eine Woche vor Semesterbeginn, deine neue Lehranstalt betrittst. Die Universität – Stätte der beruflichen Ausbildung, die aus dir was Ordentliches werden läßt (Eltern), Schauplatz politischer Auseinandersetzung und Ausgangspunkt für gesellschaftliche Erneuerungsprozesse (Daniel Cohn-Bendit), ein Ort, wo man Freundschaften fürs Leben schließt (Onkel mit Schmiß). Doch bald verlieren sich deine Motivationen in gähnend leeren Hallen und Gängen, auf denen nur ab und zu verlorene Gestalten herumlaufen, die nicht aussehen, als könnten sie auch nur einer dieser Erwartungen gerecht werden. Geschweige denn dir raten, was du als zweites Nebenfach wählen sollst. Der Professor, der dir diese Frage vielleicht beantworten könnte, ist noch im Urlaub. An den graffitibeschmierten Wänden hängen monatealte Zettel, und du fühlst dich allein auf der Welt.

Nur zwei Tage später, beim Beginn der Vorlesungen, erstickst du in der Masse. Um dich herum pulsiert die Hektik, und die Gänge sind voller Menschen, die scheinbar zielstrebig in alle vier Himmelsrichtungen laufen. Hinter dir bildet sich eine lange, verärgerte Schlange, weil du am Magnetkarten-Ladegerät der Mensa deine Karte dreimal falschrum reingesteckt hast. Der Professor ist zwar jetzt wieder da, aber nun sitzen zwanzig KommilitonInnen vor seiner Tür. Deine erste Veranstaltung fängt in zehn Minuten an, und du hast den Raum immer noch nicht gefunden, geschweige denn eine Idee für dein zweites Nebenfach.

Auch mit der gemütlichen Studentenbude wird es erst mal nichts. Wohnheimplätze, sagte eine freundliche Stimme am Anrufbeantworter, gibt's nur mit zwei Jahren Wartezeit. Vielleicht hast du nach wochenlanger Suche ein rauhfasertapeziertes Zimmer in einer vegetarischen AltstudentInnen-Wohngemeinschaft gefunden, die müsli-essend und sozialengagiert sich von dir ihre Miete finanzieren lassen. Anfängertribut. Aber wehe, du machst das Klo nicht sauber.

Dein langersehnter Einstieg in die Weltstadt Berlin scheitert schon beim Bäcker: „Zwei Wecken, bitte.“ Scheiße, geoutet: Um dich rum lächeln die Kunden verächtlich, und die Bäckersfrau tut so, als verstehe sie dich nicht. Ham wa nich. „Schrippen“, souffliert einer neben dir, der wohl auch mal aus Schwaben kam, aber jetzt durch schwarze Lederjacke und dunkle Augenringe keinen Zweifel mehr an seiner Wahlberlineridentität aufkommen lassen will. Wirst du auch mal so cool werden, fragst du dich und weißt immer noch nicht, was dein zweites Nebenfach werden soll.

Keine Angst: Du wirst. Bald schon entdeckst du, daß es im Uni- Labyrinth in regelmäßigen Abständen kleine Sackgassen gibt, in denen studentische Cafés eingerichtet sind. In diesen Nischen sammeln sich alle, die auch nicht wissen, was sie als zweites Nebenfach nehmen sollen. Bald wirst du entdecken, daß der Professor dir sowieso nicht hätte helfen können, denn die uninformiertesten Menschen an dieser Alma mater sind die HochschullehrerInnen. Statt dessen gibt es eine ganze Menge sympathischer LangzeitstudentInnen, die bestens informiert sind und sich freuen, ihr jahrelang angesammeltes Wissen von sich geben zu dürfen. Du wirst entdecken, daß Eltern, Onkel und Cohn-Bendit unrecht hatten. Du wirst Augenringe kriegen, den Taxischein machen und Berliner Vokabeln lernen, kurzum: ein echt ordentlicher Student werden.

Christiane Habermalz schreibt für das StudentInnen-Blatt „Neue Lieblingszeitung“