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■ Was Chancengleichheit ist, bestimmen die Männer. Der Europäische Gerichtshof hat die Frauenquote verworfenBevorzugung der Bevorzugten

Die Bevorzugung von Frauen bei der Verteilung eines Gutes, das traditionelles Vorrecht von Männern ist, ist trotz gleicher Qualifikation eine Diskriminierung des abgewiesenen Mannes – sagt der Europäische Gerichtshof. Man(n) ignoriere das Gruppenprivileg der Männer und stilisiere seine Infragestellung als automatische Ungleichbehandlung des einzelnen Mannes, dann kommt heraus: Das Maß sind wir. Geben wir unser Privileg als ganz normales Recht aus, so wird uns beides immer gehören. So bleibt der Mann als Mann gegenüber der Frau im Recht, und die Projektion, die Frau diskriminiere nun den Mann, ist besiegt. Die Frauen haben den Makel.

Das Bremer Gleichstellungsgesetz wollte Frauen bei der Vergabe öffentlicher Arbeitsplätze bevorzugen, wenn sie gleiche Leistung erbringen – und zwar so lange, bis sie auf der jeweiligen Hierarchieebene gleichermaßen vertreten sind. Das Gefälle im Bremer öffentlichen Dienst ist exemplarisch: Die unteren Positionen sind zu 75 Prozent weiblich, die oberen zu 75 Prozent männlich besetzt. Es geht also um die Verteilung von Arbeit, Geld, Zeit, Macht und Freiheit. Diese beschränkte Quote für Frauen, das bislang einzige direkte Ausgleichsmittel zum Hierarchieabbau im Status quo, ist mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes beiseite gefegt. Das bißchen Rückgrat des Bremer Gesetzes fällt zusammen. NRW und Hessen hatten vorbeugend nur auf den Einzelfall und die Bestenauslese abgehoben und hoffen, vor dem BVG davonzukommen. Der Rückschritt aber ist offenkundig.

Die Quote ist nur ein denkbares Instrument zur Herstellung von Gleichberechtigung, aber ein besonderes, weil strategisches. Sie sollte helfen, Formen indirekter Diskriminierung zu überspringen, nackte sexistische Diskriminierung zu verunmöglichen und historisch angehäufte Diskriminierung zu kompensieren. Sie war gedacht als vorübergehendes Hilfsmittel, gleiche Partizipation zu erschließen, und als Werkzeug, patriarchale Strukturen und Maßstäbe weiter auszuhebeln, um im Ergebnis einst gleiche Chancen herstellen zu können. Sie schloß unvermeidbar ein, daß, um den blinden Fleck der patriarchalen Gesellschaft auszumalen, auf eine Korrektur der Gruppendominanz der Männer durch eine begrenzte Gruppenrepräsentanz der Frauen nicht verzichtet werden kann.

Die keineswegs den Anforderungen der Realität vorauseilende deutsche Rechtsprechung gab diesem Ansinnen mehr und mehr recht. Es setzte sich der Standpunkt durch, daß das Gleichberechtigungsgebot nicht nur formal gleiche Rechtsnormen fordert, sondern eine gesellschaftliche Wirklichkeit, in der Gleichberechtigung durch staatliches Handeln hergestellt wird. Schon 1986 hielt Prof. Ernst Benda gutachterlich fest, daß anderenfalls das soziale Unrecht als historischer Tatbestand auf lange Zeit bestehenbleibe. Im Urteil zum Nachtarbeitsverbot hatte das Bundesverfassungsgericht konstatiert, daß faktische Nachteile, die typischerweise Frauen betreffen, durch begünstigende Regelungen ausgeglichen werden dürfen. Das Bundesarbeitsgericht in Kassel hatte 1993 das Bremer Gleichstellungsgesetz für zulässig erklärt. Die Perpetuierung von Ungleichheit war ihm schwerwiegender als ein notgedrungener Verzicht eines einzelnen Mannes. Eine neue Verfassungsbestimmung verpflichtet den Staat zur aktiven positiven Politik für Gleichberechtigung.

Diese Rechtsfortschritte hat der Europäische Gerichtshof nun vorerst zunichte gemacht. Das europäische Recht zur Gleichbehandlung von Frau und Mann im Arbeitsleben, so lautet die Begründung, sehe keine Bevorzugung und keinen Ausgleich für vergangene Benachteiligung vor. Den Frauen sei keine Gleichstellung im Ergebnis, sondern nur die Verbesserung der Ausgangsbedingungen für Chancengleichheit zu gewähren.

Das Urteil offenbart einen patriarchalen Vorbehalt: Was Chancengleichheit ist und wie sie hergestellt wird, bestimmen die Männer. Ein gleiches Ergebnis im Zugang zur Erwerbstätigkeit auf allen Gebieten und Positionen aber gehört zur Herstellung der Ausgangsbedingungen von Chancengleichheit. Frauen wird die Mitsprache über das, worin Chancengleichheit besteht, und die Einflußnahme auf die Ausgangsbedingungen für sie verweigert. Bislang Benachteiligte können jedoch gegenüber den Bevorzugten nicht gleich behandelt und ihnen können keine gleichen Chancen eröffnet werden, wenn die Bevorzugten weiter bevorzugt werden. Wer dieser Wahrheit nicht ins Gesicht sieht, will keine Gleichberechtigung von Mann und Frau. Der Zwang für Frauen, unter schlechteren Bedingungen weit mehr erbringen zu müssen, um im Ausnahmefall mit einem Mann konkurrieren zu können, wird verschärft. Im schützenden Gewande der Privilegien der Männer klagt der einzelne Mann ein, gegenüber einer Frau nicht diskriminiert zu werden, und verlängert so das Privileg für sich und seine Gruppe.

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes bescheinigt dem Mann, daß sich der patriarchale Widerstand lohnt. Das ist verheerend in einer Zeit der Krise und härter werdenden Verteilungskämpfe. Günstig ist der Zeitpunkt allemal, und überraschen kann der Vorgang kaum. So mancher deutsche Rechtsfortschritt für Gleichberechtigung wurde durch den Europäischen Gerichtshof befördert. Das war vielen schon lange ein Dorn im Auge. Und bevor die Einsicht, daß ohne neue Quotenregel sich nichts bewegt, den letzten politischen CDU-Winkel erreicht, ist eine Gegenanzeige angesagt. Da paßt es schön, daß auch mehr und mehr Frauen sich von der Quote distanzieren – in der Hoffnung, so der Stigmatisierung ihres Geschlechts entgehen zu können. Die Spaltung zwischen Frau und Mann und Frau und Frau in der Gesellschaft wird angeheizt.

Nun bleibt nichts anderes, als das EU-Recht zu verändern. Im übrigen ist das Urteil beim Wort zu nehmen. Gleiche Ausgangsbedingungen sind zu verlangen: ein Gesetz, das den Mann zu 50 Prozent der Hausarbeit und zur Teilung des Erziehungsurlaubs zwingt; die Abschaffung der staatlichen Bevorzugung der Ehe; die Verstaatlichung der Kindererziehung während aller Erwerbstätigkeit rund um die Uhr; die Neudefinition der Qualifikationsvoraussetzungen und Besetzungsvorschriften im öffentlichen Dienst unter Einbeziehung sozialer Fähigkeiten insbesondere in höheren Positionen; die Auflösung aller Tarifnormen und Arbeitszeitvorschriften zwecks Herstellung eines wirklich freien Wettbewerbs auf dem Arbeitsmarkt und ähnliches mehr. Mechtild Jansen

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