Gequältes Gestein, gequältes Zelluloid

■ Neu im Kino: Mit „Transatlantis“ ist ein Film gelungen, der niemandem gefällt

Ein Mann mittleren Alters betritt langsam eine Holzhütte auf der Alm. Er schaut sich noch langsamer um. In der einen Ecke sieht er ein Paar Skier. Die Kamera zeigt sie lange genug, damit auch der letzte Zuschauer sie gesehen hat. Aus dem Off erklingt in Grabesmonotonie die Stimme des Mannes: „Die Skier meines Großvaters.“ Er schaut sich weiter um, langsam. In der Ecke steht eine Holztruhe. Die Stimme informiert: „Die Truhe meines Großvaters.“ In der Truhe befinden sich die Aufzeichnungen seines Großvaters, wie der Mann durch ein paar bedächtige Handgriffe erfährt und uns per Off-Stimme mitteilt. So verfährt er mit den restlichen Einrichtungsgegenständen, bis der Zuschauer sich in der Hütte seines Großvaters wie zu Hause fühlt. Zum Wie-zu-Hause-Fühlen hätte er aber auch gleich zu Hause bleiben können.

Wesentlich dramatischer als in der oben beschriebenen Szene wird der Film „Transatlantis“ von Christian Wagner nicht. Daniel Olbrychski spielt besagten Mann mittleren Alters, obwohl spielen zuviel gesagt ist. Er ist einfach da. Manchmal bewegt er sich, manchmal sagt er etwas. Meistens bewegen sich seine Lippen dabei nicht oder wenig. Er verkörpert den Kernphysiker Neuffer, der nach längerem ruhmreichen Auslandsaufenthalt seine alte Mutter im Allgäu besucht, die gleich darauf stirbt (wahrscheinlich hat er sie zu Tode gelangweilt).

Er bleibt trotzdem, freundet sich mit einer studentischen Hilfskraft an und kommt auf die fixe Idee, Atlantis läge nicht bei Helgoland sondern hoch droben im tibetanischen Gebirge. Das will er in absehbarer Zeit erforschen, aber erstmal flaniert er zum Training durch die Alpen, guckt sich ein paar Felsen an und murmelt im Wechsel „Gestein. Gequältes Gestein.“ und „Spuren. Überall Spuren.“ Zur genaueren Gesteins- oder Spurenbestimmung kommt es nicht. Außerdem wird in einer Gondel ein Mann ermordet, der zuvor seine Uhr verloren hat, aber eigentlich hat das nichts mit dem Rest zu tun.

Seit David Lynch versucht mancher, das willkürliche Aneinanderreihen von Normalitäten als abgründig zu verkaufen. Leider hieß abgründig noch nie tiefgründig, und leider ist „Transatlantis“ noch nicht mal abgründig, was ja zumindest recht unterhaltsam hätte sein können. Bei Wagner gerät Normalität lediglich zur Banalität.

Wer aus beruflichen Gründen (Filmverleiher etc.) etwas Nettes über diesen Film sagen muß, versteift sich meistens darauf, daß die Bilder von Tibet und den Alpen nicht schlecht seien. Das allerdings sollte nach 100 Jahren Film kaum als Argument zählen. Schließlich dürfte es ziemlich schwierig sein, mit der Kamera besagte Landschaften zu bereisen und unschöne Bilder mitzubringen. Ebensowenig vermag die vehement herbeigedichtete Mischung aus Realität und Mystizismus zu überzeugen. Real mag es sein, wenn ein Mann griesgrämig durchs Geröll stapft, aber Mystizismus sollte mehr sein als die Behauptung, daß die Steine gequält und die Spuren überall seien.

Andreas Neuenkirchen

Ab 19. 10. um 18. 45 Uhr im Cinema Ostertor