Die Macht der Gewaltfreiheit

■ Denkmal „Frauenprotest 1943“ für Widerstand gegen Judendeportation in der Rosenstraße in Mitte eingeweiht

Jene, die Auschwitz und all die anderen Höllen überlebt haben, wissen nicht, warum gerade sie. Zufall, nichts als ein Zufall. Aber die 1.500 Berliner Juden, die vor über 52 Jahren, am 27. Februar 1943, schon für den Tod bestimmt waren und ihm entkamen, wissen den Grund.

Sie verdanken ihr Leben dem Mut ihrer nichtjüdischen Ehepartner oder Mütter. Eine ganze Woche lang, vom 28. Februar bis zum 6. März, trotzten viele hundert, zeitweilig gar zwei- bis dreitausend Menschen, darunter fast nur Frauen, den Machthabern mit einer geradezu selbstmörderischen Verzweiflung.

Bei Tag und bei Nacht standen sie mit ihren Kindern vor dem von den Nazis als Sammellager für in „Mischehe“ lebende Juden mißbrauchten Haus der Jüdischen Sozialverwaltung in der Rosenstraße 2-4. Sie standen da, riefen „Ihr Mörder!“ und „Gebt unsere Männer frei!“, wichen nicht einmal, als die Polizei Maschinengewehre gegen sie auffahren ließ. Der Nazi- Propagandaminister Josef Goebbels, der Ende Februar 1943 Berlin völlig „judenrein“ morden lassen wollte, mußte endlich vor diesem Aufbegehren kapitulieren.

Gestern wurde nun am historischen Ort, in der heute von häßlichen Plattenbauten aus DDR-Zeiten umsäumten, nur fünfzig Meter kurzen Straße ein Denkmal eingeweiht, das an dieses im nazistischen Deutschland einmalige Ereignis erinnert. Gestaltet hat es die im Ostteil der Stadt lebende, jetzt 79 Jahre alte Bildhauerin jüdischer Herkunft Ingeborg Hunzinger. Ohne staatlichen Auftrag begann sie ihre Arbeit Anfang der achtziger Jahre. Das war damals schon ungewöhnlich genug, denn genehm waren nur Denkmale, die ausdrücklich den politischen Antifaschismus ehrten.

Und später, als es die DDR nicht mehr gab, gab es neue Schwierigkeiten. Mal fehlte Geld, mal lagen Restitutionsansprüche auf dem für die Aufstellung vorgesehenen Gelände, und ein anderes Mal fehlten die formalen Kriterien des offenen Wettbewerbes.

Ingeborg Hunzinger wies gestern in ihrer kurzen Ansprache auf die lange Vorgeschichte hin. Sie dankte der Jüdischen Gemeinde, ausdrücklich der alten Ostgemeinde, die ihr immer wieder Mut zum Weiterarbeiten gemacht hatte.

Bausenator Wolfgang Nagel berichtete den zur Einweihung des Denkmals gekommenen mehreren hundert Gästen – darunter einige, die damals in der Rosenstraße verzweifelten Mut zeigten – nichts von diesen Schwierigkeiten bei der Entstehung. Er dankte Frau Hunzinger für ihre Eigeninitiative und für ihren Entwurf, der geeignet sei, „uns auch heute noch zur Zivilcourage zu ermutigen“.

Vielleicht ist die Gruppe aus jeweils über zwei Meter hohen und breiten Figuren aus rotem Vulkangestein dafür etwas zu monumental geraten und erinnert in der Formsprache zu stark an den sozialistischen Realismus, um wirklich anzurühren. Dennoch: Es ist gut, daß sie steht. Und schmerzhaft auch für nachfolgende Generationen: Ein zweites Denkmal für den Widerstand gegen die Verfolgung, Ausgrenzung und Ermordung der Juden kann es, weil fast alle weggesehen haben, nicht geben. In Mitte steht nun ein Zeichen für die Macht der Gewaltfreiheit. Anita Kugler