"Wir rechnen mit 70 Prozent Leerstand"

■ Interview mit dem Investor Roland Ernst über die Ergebnisse des Berliner Baubooms und seiner Projekte: zu große Häuser, zu monotone Fassaden, verödete Quartiere. Überkapazitäten an Büroflächen sorgen

taz: Der Berliner Büromarkt liegt am Boden. Es gibt riesige Leerstände und wenig Gewinnerwartungen. Wann sind Sie pleite?

Roland Ernst: Ich habe nicht vor, Pleite zu machen. Wir haben mit starken Partnern und Banken unsere Objekte gebaut. In zwei, drei Jahren haben wir den Leerstand in Berlin-Mitte überwunden. An den Randlagen dauert es länger. Wer dort darauf angewiesen ist, 45 bis 50 Mark Miete pro Quadratmeter zu bekommen, dem droht ein Desaster. Wir haben uns auf die Flaute eingestellt mit kurzfristigen Mietverträgen und rechnen in zwei, drei Jahren mit dem einmal kalkulierten Preisen.

Ein Problemfall ist Ihr Quartier 207 der Friedrichstadtpassagen. Wieviel ist vermietet?

Von der Gesamtfläche haben wir an Büros und an die Galleries Lafayette ein Drittel vermietet.

Im Januar klang das euphorischer.

Der Markt ist schwächer geworden. Heute könnten wir das Haus mit dreißig Prozent unterhalb der kalkulierten Preise füllen. Das machen wir aber nicht.

Das heißt, Sie lassen leer stehen.

Anfang 1996 ...

...sechs Monate später als geplant ...

...eröffnen wir das Haus. Wir rechnen im ersten Jahr mit einem Leerstand von 70 Prozent, im zweiten Jahr mit 50 Prozent. Danach wird sich das allmählich füllen.

Vor drei Jahren haben Investoren gesagt, man müsse so schnell wie möglich bauen, damit man noch vermieten kann. Jetzt sagen dieselben Leute, erst zum Ende des Jahrzehnts lohnt es sich wieder.

Jeder wird derzeit mit der Miete bis an seine Schmerzgrenze heruntergehen, um wenigstens einen Deckungsbeitrag für seine Kosten zu haben. Natürlich gibt es Problemobjekte. Ich kann aber den Banken nur den Rat geben: Werden Objekte zwangsversteigert, dann geht erst recht viel Geld verloren. Das ist sicherlich bei den Schwierigkeiten der Interhotel- Gruppe ein Punkt für die Banken gewesen. Die Interhotel-Chefs Guttmann und Groehnke sind weiterhin in der Gesellschaft und können aufgrund ihres großen Know- hows hier eine bessere Lösung finden, als wenn sie die Objekte von Bankangestellten verwerten ließen.

Warum werden trotzdem Büros gebaut und nicht Wohnungen?

Sie können Gebäude, die als Büros konzipiert wurden, nicht zu Wohnungen umnutzen. Aber es gibt Standorte, wo der Wohungsbau sinnvoller wäre, anstatt dort noch mehr Gewerbeflächen zu bauen. Eins ist nach dem Schneider-Schock klar: Es werden keine neuen Großprojekte mehr angegangen, wenn es nicht von vornherein Nutzer gibt. Der Baumarkt wird deswegen rapide abbrechen.

Wann kommen die geplanten Hochhäuser am Alexanderplatz?

Am Alexanderplatz tut sich frühestens etwas in sieben bis zehn Jahren. Da hatte man die ideale Situation, daß sich sechs große Investoren am Wettbewerb beteiligten. Zuerst gab es die Vorgaben: Je höher die Hochhäuser, desto besser. Der Wettbewerb kostete eine Million Mark. Als das Ergebnis vorlag, wurde man mutlos und wollte alles niedriger machen. Ich werfe Politikern vor, überhaupt kein Verhältnis zum Geld zu haben. Die bringen etwas auf die Reise und sagen dann: Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?

Politiker sollen doch das Ergebnis kontrollieren.

Richtig. Aber man kann doch keinen Wettbewerb durchführen und danach sagen, jetzt machen wir alles anders. Jetzt reagieren die am Alexanderplatz vertretenen Investoren auf den schlechten Markt. Um nun auf Hochhäuser umzusteigen, müssen die wirtschaftlichen Verhältnisse einfach besser sein. Derzeit macht das überhaupt keinen Sinn – auch für unser Projekt.

Sind falsche Entscheidungen getroffen worden?

Die Stadtplanung entwickelt sich in eine monotone Richtung. Falsch ist das Festhalten an der Traufhöhe von 22 Metern oder an der Struktur der Gebäude. Größere Variationsmöglichkeiten wären besser.

Wie hätte man die immer gleichen Investorenkästen verhindern können?

Anfangs hat die Treuhandanstalt nur großflächige Grundstücke vergeben. Darauf wurden große Gebäude errichtet. Wären die Grundstücke kleiner gewesen, dann hätten wir mehr Vielfalt.

Die Investoren wollten doch große Grundstücke.

An Grundstücke im Besitz der Treuhand kam man nur über Investitionsvorrangbescheide heran. Da war es gar nicht möglich, ein kleineres Grundstück zu kaufen.

Also hat die Treuhandanstalt die Stadtplanung gemacht?

Ursprünglich wollten wir von der Friedrichstadtpassage ein Grundstück, das halb so groß war wie das jetzige. Doch die Blocks sollten so groß gebaut werden.

Groß ist kostengünstiger?

Natürlich ist das preiswerter. Jetzt sieht man aber, daß zu große Einheiten entstanden sind.

Der Berliner Senatsbaudirektor Hans Stimmann beklagt, die Investoren wollten die großen Karrees. Jetzt sagen Sie, eigentlich wären kleinere Einheiten besser gewesen. Wer hat denn nun Schuld?

Die städtebaulichen Vorgaben zwangen uns, anders zu planen. Heute würden wir das anders gestalten. Vielleicht ist alles zu schnell gegangen. Man wollte etwas so schnell wie möglich bewegen. Arbeitplätze sollten geschaffen werden. 1.000 Kräne sollten sich in der Stadt drehen, hieß es.

Die 22 Meter Traufhöhe mögen eine Begrenzung sein. Entscheidend für die architektonische Einheitssoße aber ist das nicht.

Richtig. Einer der Gründe ist die Auswahl der Materialien. Am Gendarmenmarkt wird beispielsweise grauer Sandstein oder grauer Granit verwandt – mit Rücksicht auf den Deutschen und Französischen Dom und das Schauspielhaus. Gut, da kann man kein buntes Haus hinstellen. Aber die Fassaden hätte man mehr gliedern können.

Keiner zwingt Sie, so zu bauen.

Wir haben für alle unsere Projekte einen Wettbewerb durchgeführt. Nur: Den Gewinner des Wettbewerbs haben wir nicht bestimmt. Das wurde von den Preisrichtern ...

...beispielsweise Senatsbaudirektor Stimmann ...

...bestimmt. Wir haben keine Chance. Bei unserem Großvorhaben am Potsdamer Platz beispielsweise konnten wir nicht über den Architekten entscheiden.

Sind sie unzufrieden mit dem Ergebnis?

Es gibt Gebäude, von denen ich nicht so begeistert bin. Nicht, daß ich mit der Auswahl der Architekten unzufrieden wäre. Aber man hätte auch andere Gebäude machen können. Beispielsweise könnte man das Projekt am Potsdamer Platz von der gesamten Gebäudestruktur her vielfältiger gestalten. Man muß doch diese großen Flächen bedenken, die dort bebaut werden – das hätte man mehr variieren, auch aufregender bauen können.

Am Pariser Platz am Brandenburger Tor kämpft der Architekt Behnisch, vom Zwang zur steinernen Fassade wegzukommen.

Ich finde es gut, wenn am Brandenburger Tor etwas mit einer gläsernen Fassade gebaut wird. Das kann das I-Tüpfelchen am Platz sein.

Ist das krampfhafte Festhalten an Einheitsfassaden provinziell?

Es gibt hier sehr namhafte Architekten, die das Stadtbild mit entscheiden. Da haben wir als Investoren gar keine Einflußnahme. Wenn wir gegen den Strom schwämmen, würde unser Bauprojekt immer unten landen.

Aber in der Friedrichstraße sind Sie mit ihrem Architekten Jean Nouvel und seiner Glasfassade zum Zug gekommen.

Das war ein internationaler Wettbewerb, den Nouvel gewonnen hat. Da sind wir nicht unglücklich. Das Gebäude hebt sich ab von der Monotonie im Umfeld. Die benachbarten Gebäude sind zwar vom Material von hoher Qualität, haben aber nur eine einfache Struktur. Wir brauchen in der Mitte mehr Struktur und Abwechslung. Aber das ist auch eine Frage der Grundstücksgrößen.

Fühlen Sie sich in Mißkredit gebracht von Glücksrittern, die mit wenig Eigenkapital riesige Objekte kaufen?

Es gibt in jeder Branche schwarze Schafe. Das Problem ist, daß die Immobilienbranche einen schlechten Ruf hat, weil Dinge nicht ordentlich gebaut werden.

Sollten Politiker mehr darauf achten, daß bei zentralen Orten wie dem Leipziger Platz sorgfältig ausgewählt wird? Der Kaufpreis von angeblich 380 Millionen Mark, den der Projektentwickler Kottmair gezahlt haben soll, gilt in der Branche als total überhöht.

Ich kann zur Kottmair-Gruppe nichts sagen. Unsere Gruppe hat sich an der Ausschreibung für den Leipziger Platz nicht beteiligt. Die Zahlen, die in der Ausschreibung als Mindestpreis angegeben wurden, waren nicht realistisch. Mit diesen hohen Preisen kommt man nicht über die Runden.

Ist der Berliner Markt offener geworden? Oder teilen die alten Westberliner Netzwerke den Markt immer noch unter sich auf?

In den letzten ein, zwei Jahren hat sich einiges verändert. Vor der Wiedervereinigung war Berlin ein sehr abgeschotteter Kreis. Die Bauträger waren eng verzahnt mit der politischen Spitze und hatten diese fest im Griff. Als Außenseiter bekam man kein Bein auf den Boden. In der Bauindustrie gab es Preisabsprachen. Diese Kartelle sind heute aufgebrochen. Wir haben heute dasselbe Preisniveau wie in der Bundesrepublik.

Gibt es Kampfpreise?

In der Bauindustrie in Westdeutschland gibt es einen totalen Abschwung, eine Katastrophe. In Berlin wird aufgrund der großen Kapazitäten ein sehr harter Wettbewerb ausgetragen. Bei Neuausschreibungen stellen wir immer wieder fest, daß erheblich unterkalkuliert wird. Die riskieren dabei, kaputtzugehen.

Sie haben einmal die Neubaukosten für die Regierungsbauten als zu hoch kritisiert. Jetzt zieht der Bund in Altbauten.

Mir ging es nicht nur darum, die Gebäude bis zu 30 Prozent billiger zu bauen, sondern um einen schnellen Umzug. In Altbauten zu ziehen, ist richtig. Aufpassen muß man bei den Kosten. Wenn ich höre, daß die Modernisierung des Treuhandgebäudes für das Finanzministerium pro Quadratmeter rund 6.000 Mark kosten soll, ist das ein Wahnsinn. Das kann man für 3.500 Mark machen. Auch der Umbau des Reichstags für 600 Millionen Mark ist maßlos. Die öffentliche Hand will ihre Bauten selbst machen, egal, was es kostet. Das sieht man ja deutlich beim Bonner Schürmann-Bau, der weitergebaut wird. Das ist totaler Schwachsinn.

Das Stadtzentrum wird komplett neu gebaut. Verändert dies das Bewußtsein der Menschen?

Ich laufe oft abends durch die Stadt. Ich sehe die Menschen in der Friedrichstadt und habe den Eindruck, die stehen da machtlos daneben. Die kriegen etwas übergestülpt und müssen damit leben.

Das sind keine Akteure der Stadtentwicklung, sondern Zuschauer?

Ja. Wenn ich dagegen die Hackeschen Höfe anschaue: da sind die Menschen drin verwurzelt. In dieser neuen Mitte, auch wenn dort Wohnungen reinkommen, werden nicht „die“ Berliner leben.

Sie haben die denkmalgeschützten Hackeschen Höfe gekauft.

Die Hackeschen Höfe bilden den Ausgleich zum Alltagsgeschäft. Die kleinteilige Struktur ist etwas Besonderes. Und das soll nach der Sanierung auch so bleiben. Gravierende Mietsteigerungen wird es nicht geben.

Machen Sie dort auf Menschenfreund?

Ich mache auch Dinge, bei denen es kein Geld zu verdienen gibt. Und in den Hackeschen Höfen ist auf Jahre hinaus nichts zu verdienen. Ich ziehe dort selbst ein.

Mehr Lebendigkeit im Zentrum – ist das ein Pläydoyer für mehr Wohnungen in Mitte?

Nicht nur Wohnungen allein. Das sehen wir in den Hackeschen Höfen – dort haben wir keine Vermietungsprobleme beim Gewerbe. Nicht nur, weil die Miete niedriger ist. Es geht um die Vielfalt: Da müssen Kneipen rein, da müssen kulturelle Dinge rein. Da geht es um die Mischung. Zwanzig Prozent Wohnungen in der Mitte allein reichen nicht – man muß vor allem aufpassen, daß da nicht Menschen wohnen, die früh gehen und spät wiederkommen und am Wochenende nach Westdeutschland fahren. Ein Quartier muß wachsen. Das dauert zwanzig Jahre.

Diese Mischung finden wir in der Friedrichstraße gerade nicht, obwohl uns das erzählt wird.

Richtig. Das ist eine Frage des Grundstückspreises. Wir haben zu einem frühen Zeitpunkt gekauft. Bei den Friedrichstadtpassagen haben wir 15.000 Mark pro Quadratmeter Boden bezahlt. Später wurden dort 40.000 Mark bezahlt. Familiengerechten Wohnungsbau kann es da nicht geben.

Interview: Rolf Lautenschläger

und Gerd Nowakowski