: Helden: Fritz und Willi Von Claudia Kohlhase
Seit Willi kein Bein mehr hat, hat er ein Lebensrecht auf doppelt gelegte Sitzpolster. So lange, bis Fritz die Kissen endlich hat, kann Willi Gott sei Dank stehen. Nur wenn überraschend junge Damen kommen, geht's noch ein bißchen länger. Fritz und Willi wohnen hinten auf der Endmoräne und bewirtschaften eine Wirtschaft, die letzte vor dem Weltende. Das heißt: Fritz bewirschaftet, und Willi kuckt zu, eben wegen des Beines. Und dann noch, weil er schon 89 ist, der älteste Bauer weit und breit.
Fritz und Willi sollten zuerst nicht als Fritz und Willi auftauchen, aber Fritz und Willi können nicht anders heißen. Außerdem heißt Willi schon Wilhelm, und außer mir kennt auch niemand wirklich die Endmoräne, worauf Fritz und Willi wohnen und sogar Pferde aufnehmen, wenn sie müde sind. Hinter der Gastwirtschaft steht ein großer Wald und schweigt, weil nur Förster darin herumlaufen und leise Bäume markieren. Sonst wachsen dort noch Boviste, auf die keiner tritt. Fritz dagegen backt jeden Samstag Zwetschgenkuchen von Heinzi seinem Pflaumenbaum. Bloß einmal im Monat kommt die Cousine, die von den anderen unten im Dorf teilweise die Nichte, die Tante oder die Schwester ist, und nimmt Fritz das Backen ab. Fritz findet den Kuchen der Cousine um einiges lockerer als seinen, aber Willi findet, einen Sohn zu haben, der Zwetschgenkuchen backt, sonderbar genug. Niemand weiß, ob sonderbar toll oder sonderbar untypisch, aber was soll man machen, nirgends ist eine Ehefrau oder will eine zulaufen.
Seit vorvorletzter Woche darf ich Willi zu Willi sagen und er Claudia zu mir. Claudia, sagt er seitdem am Anfang jeden zweiten Satzes, was ein bißchen rührend klingt oder so, als wenn eine knorzige Weide ihre Rinde lüftete. Vielleicht klingt es auch komisch, hier hinten so sehr beim Namen genannt zu werden. Eigentlich sollte Fritz heute Apfelkuchen backen, aber einmal in der Woche kickt Fritz in Alt- oder Neu- oder Mittelsmelchiorshausen gegen die Heiligenloher oder -roder. Als Hobby hat Fritz noch Busfahren, das ist dann die Zeit, wo die Cousine kommt.
Abends wird der Gasthof außen dichtgemacht; dann sitzen innen neben der Theke Knechte oder Förster oder die Skatrunde. Im Wohnzimmer nebenan ist Willi dann oft schon eingeschlafen, und über sein altes Gesicht huschen die Fernsehschatten. Fritz hat aber immer ein Auge auf ihn, und die Gäste auch, damit er mit dem letzten Bein nicht vom Sessel rutscht. Fritz ist eine Seele von Sohn, und wenn Rehe wie Boxer aussehen könnten, dann wäre Fritz ein Reh. Willi dagegen könnte früher böse gewesen sein, so, wie er manchmal den Hund schlägt. Aber mit dem einen Bein ist er ja gestraft genug, und ein Bauernhof ist auch kein Streichelzoo.
Sollte es spät werden, trinken wir Likör mit Schnaps oder umgekehrt, weil Fritz gerne einen ausgibt und man sich dazu hinsetzen kann. Dann reden wir über die Arbeit und das Vergnügen oder über die Zeit. Draußen versinkt währenddessen die Welt, und warum auch nicht. Hier ist ja genug Licht für uns alle, und nachher wird Fritz mit rausgehen und warten, bis der Wagen die Endmoräne herabrollt. Es ist sonderbar gut zu wissen, daß Fritz und Willi immer aufhaben, auch wenn gerade zu ist.
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