■ Mit Einigungswirtschaftlern auf du und du
: Besser geht's nimmer

Berlin (taz) – Aufgeräumt diskutierten gestern Politik und Wirtschaft im Berliner Kempinski-Hotel über „Das vereinte Deutschland. Auswirkungen auf Wirtschaft und Industrie“. Die interessantere Frage, nämlich wie die Industrie die Einigung beeinflußt hat, kam nicht zur Sprache. Einigkeit herrschte jedoch, daß ein anderer Weg als der eingeschlagene nicht machbar gewesen wäre, auch wenn Wirtschaftsstaatssekretär Johannes Ludewig zu bedenken gab, daß zwei Drittel der Arbeitsplätze in Ostdeutschland seitdem wegrationalisiert wurden. So beschäftigt der Maschinenbau noch ein Fünftel der ArbeiterInnen von 1989.

Birgit Breuel, Exchefin der Treuhand, zeigte dazu gleich ihre profunde Kenntnis der Oststatistiken: „Ich hab' da meine Zweifel.“ Als die Treuhand kurz nach der Wende ein Maschinenbau-Kombinat übernahm, verkaufte sie es laut Breuel „samt Gefängnis – ohne daß wir es wußten. Die Insassen waren nach der Statistik bestimmt auch Maschinenbauer“, vermutet die damalige Treuhänderin.

Siemens war einer der großen Abnehmer der Treuhand. 13 Fabriken in den neuen Ländern nennt der Elektrokonzern heute sein eigen. „Wir haben mehr Betriebe übernommen, als wirtschaftlich notwendig war“, sagte Vorstandschef Heinrich von Pierer gestern. Vieles wäre im Westen einfacher und schneller zu produzieren gewesen, aber in seinem Unternehmen, daß ja in Berlin groß geworden sei, habe „ein gewisser Patriotismus geherrscht“. Ein angenehmer Nebeneffekt dürfte auch gewesen sein, daß die potentielle Konkurrenz nun zum eigenen Haus gehört.

Außerdem geben die Ossis weiter Rätsel auf. So wollte John Vinocur, Chefredakteur der International Herald Tribune, gerne wissen, weshalb nach neuen Umfragen immer noch die Hälfte der Ostdeutschen glauben, sie lebten heute nicht in einem gerechteren System als vor der Wende. Birgit Breuel zitierte daraufhin zur Erklärung Bärbel Bohley: „Wir wollten Gerechtigkeit und bekamen den Rechtsstaat – die Ostdeutschen müssen begreifen, daß ein Rechtsstaat eine friedliche Revolution nicht vollenden kann.“ rem