Aus Rot-Grün gelernt?: Die engeren Spielräume neu nutzen
■ taz-Serie zu den Erfahrungen der rot-grünen Koalition von 1989: Bildung kann man auch in Zeiten der Not besser und billiger machen, ist Sybille Volkholz überzeugt
Sybille Volkholz ist Abgeordnete für das Bündnis 90/Die Grünen und war in der rot-grünen Koalition von 1989 bis Ende 1990 Schulsenatorin.
Nicht in allen Politikfeldern war Rot-Grün 89/90 vom Klima ständiger Koalitionskrisen geprägt. Die Bildungspolitik wurde weitgehend im Konsens zwischen den Koalitionspartnern mit deutlicher grüner Akzentsetzung gestaltet.
Die positive rot-grüne Zusammenarbeit in der Bildungspolitik basierte auf den gemeinsamen Oppositionserfahrungen der achtziger Jahre und daraus resultierenden gemeinsamen Bestrebungen nach einem Abbau des extremen Zentralismus sowie den Möglichkeiten materiellen Zuwachses in diesem Feld. Die Schwerpunkte der rot-grünen Koalitionsvereinbarung im Schulteil waren demzufolge die Demokratisierung der Schule und die Stärkung reformpädagogischer Initiativen. Dazu gehörten in erste Linie die Förderung der gemeinsamen Erziehung behinderter und nichtbehinderter Kinder, die Ausdehnung der zweisprachigen Erziehung, vor allem für türkische Kinder, und die Einführung der Schulpflicht für Kinder von Asylbewerbern.
Insgesamt wurden damals 1.300 Stellen und Beschäftigungspositionen, zum großen Teil aus anderen Bereichen, in den Schulbereich verlagert und ein Milliardenprogramm für die Erstellung von mobilen Klassenräumen für die zugezogenen 12.000 Übersiedlerkinder, von Schuldörfern sowie für die Ersatzbauten der von Asbest betroffenen Schulen aufgelegt.
Eine Neuauflage von Rot- Grün 1995 steht unter einer völlig anderen Aufgabenstellung. Die materiellen Rahmenbedingungen sind bereits heute erheblich schlechter, und der Konsens über Zentralismus und Dezentralisierung stellt sich heute völlig anders dar. Ein damals radikaler Dezentralist wie Erich Pätzold ist von seinen eigenen Genossen mit der Entscheidung zum Landesschulamt völlig konterkariert worden.
Die Verschuldung Berlins in den letzten fünf Jahren der Großen Koalition hat sich verdreifacht. Die Löcher im Haushalt werden sich – wegen des Finanzausgleichs – selbst bei steigenden Steuereinnahmen kaum schließen. Auch bei einer anderen politischen Prioritätensetzung im Landeshaushalt wird es keine Expansion der Bildungsausgaben geben.
Die Folge: In Bereichen mit hohem Personalkostenanteil muß unter gänzlich anderen Vorzeichen Politik gemacht werden. Und hier werden sich andere Positionsbildungen zwischen Rot und Grün abzeichnen als 89/90. Gerade im Bildungsbereich werden Reformspielräume nur noch herstellbar sein, wenn die bisherigen Ressourcen besser genutzt werden.
Eine Kultur der Eigenverantwortlichkeit, der dezentralen Ressourcenverantwortung ist nicht – wie der Kreuzberger SPD- Bürgermeister Strieder meint – der grüne Weg zur unsozialen FDP. Nein, sie bedeutet, daß Institutionen wie zum Beispiel Schulen und Hochschulen, auch Volkshochschulen, ihre Ausgaben einer genauen Effektivitätskontrolle unterziehen müssen.
Die Tatsache, daß die Schulen beispielsweise mit zu den größten Energiefressern in dieser Stadt gehören, riesige Abfallberge produzieren und damit auch viel Kosten verursachen, die mit dem Bildungserfolg und dem Ausgleich sozialer Chancen auch gar nichts zu tun haben, muß die Beteiligten vor Ort auf den Plan rufen. Schon zum Zwecke höherer ökologischer Bildung können hier Kosten reduziert werden.
Hier stehen sich nicht eine „soziale SPD“ und ein „zunehmend libertäres Bündnis 90/ Die Grünen“ gegenüber, wie Strieder es als mögliche Profilierungschance der SPD sieht, hier stehen sich unterschiedliche politische Konzepte der Verteilung von gesellschaftlicher Verantwortlichkeit gegenüber. Herr Strieder, und mit ihm ein großer Teil der SPD, sehen den Sozialstaatsauftrag nur gewahrt, wenn ein staatlicher Geldsegen von oben nach dem Motto: „einheitlich, staatlich, unentgeltlich“ erfolgt.
Gesellschaftlichen Institutionen wie zum Beispiel Schulen und Hochschulen wurde dabei wenig eigene Gestaltungskraft bei der Herstellung sozialer Verhältnisse zugetraut. Gerade diese müssen aber mehr in die Verantwortung einbezogen werden. Das bedeutet aber auch stärkere Übertragung von politischen Entscheidungen für ihre inhaltliche und organisatorische Gestaltung. Dies wird den Zentralisten in der SPD – und auch denen in unseren eigenen Reihen – herzlich wenig schmecken.
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