Für die Freizeit nicht geschaffen?

Zukunftsrisiko Freizeit – eine Tagung der Thomas-Morus-Akademie  ■ Von Mechtild Maurer

„Der Mensch ist stehengeblieben. Wir sind Freizeitanalphabeten. Der Mensch ist für die Freizeit nicht geschaffen“, klagt der Freizeitforscher Horst W. Opaschowski; dementsprechend düster beschreibt er den zukünftigen Menschen in unserer freizeitorientierten Erlebnisgesellschaft. Den Wertewandel sieht er zügig vonstatten gehen, wobei der Konsum von den Nebenschauplätzen zur Hauptbühne geworden sei. Die junge Generation zeichne sich mehr und mehr durch den neuen, von außen gesteuerten Menschentypen mit seelischer Leere aus. Abhängig vom Konsum gebe sich dieser oberflächlichen Kontakten hin, sei unentwegt in Bewegung auf der Suche nach neuen Erlebnissen, nach noch größeren Reizen. Er könne nur noch in TV-gerechten Abschnitten erleben, und seine einzige Persönlichkeitskonstante sei die Flüchtigkeit. Opaschowski bezieht sich in seinen Ausführungen auf amerikanische Trendforscher, die eine Generation verzogener Kinder nachkommen sehen, bei denen die alten Arbeitstugenden wie Fleiß etc. immer weniger gefragt seien. Opaschowskis Szenario „was passiert, wenn nichts passiert“ endet nach einer Zunahme von Aggression und Gewalt in der Flucht aus der konsumorientierten Gesellschaft in die Scheinwelten der Drogen oder der Sekten.

Opaschowski stellte seine Thesen auf einer Studienkonferenz der Thomas-Morus-Akademie zur Diskussion. Die Akademie hatte Wissenschaftler und Abgeordnete des Fremdenverkehrsausschusses des Deutschen Bundestages zum Rundgespräch über das „Zukunftsrisiko Freizeit“ nach Bonn eingeladen. Neben Ursachen und Folgen der Krise der Freizeitgesellschaft sollten Wege zur Neuorientierung aufgezeigt werden.

Auch der Politikwissenschaftler Bernd Guggenberger aus Berlin formt die massiven Folgen der Medien und des Konsums in der zukünftigen Freizeitgesellschaft zu einer faszinierenden horrorartigen Vision. Er spricht von einer Passivierungskatastrophe, von einer Freizeitgesellschaft, die uns überfordert, während wir in der Erwerbswelt völlig unterfordert seien. Er bemängelt das Fehlen geeigneter Steuerungsinstrumente und Sozialisationsinstanzen.

Die Schule orientiere sich immer noch an den alten Leitbildern und bereite Kinder nicht auf die neuen sozialen Rollen außerhalb der Jobsituation vor. Bisher habe die Werbung das Monopol, Geschmack und Bedürfnisbildung zu vermitteln.

Die Gefahr der konsumorientierten Zukunft sehend, fordert Halo Saibold, MdB (Bündnis 90/ Die Grünen) und Vorsitzende des Fremdenverkehrsausschusses, die Entwicklung eines neuen sozialen und familienfreundlichen Leitbildes. Sie hofft auf den Widerstand vieler BürgerInnen gegen die Vereinnahmung durch die Medien und die Werbung. Die Frage von Volker Eid, Professor an der theologischen Fakultät in Bamberg, wie sich die junge Generation dem ständigen Frontalangriff der Werbebranche entziehen könne, bleibt jedoch unbeantwortet. Zumindest sei, so Halo Saibold, eine Freizeit- und Tourismusfolgenabschätzung in Auftrag gegeben worden, um in dieser Frage weiterzukommen.

Ihr Kollege im Fremdenverkehrsausschuß, CDU-Politiker Rolf Olderog, klagt: „In unserem Volk gibt es längst keinen ethischen Grundkonsens mehr. Immer weniger können zwischen gut und böse unterscheiden.“ Das Fernsehen nimmt seines Erachtens dabei eine herausragende Stellung ein. Daher fordert er neben der freiwilligen Zensur des Fernsehens – ein fernsehfreier Tag – mehr Ehrenamt und wieder mehr Zeit eines Elternteils für die Familie.

Die Argumente Guggenbergers verdeutlichten die weitgehende Sprachlosigkeit zwischen den VertreterInnen aus Politik und Wissenschaft. Guggenberger lief in der Diskussion zur Hochform auf, und seine sprachlich dichte Ansammlung von Visionen amerikanischer Zukunftsforscher, als Trommelfeuer herausgespuckt, gipfelten in der Forderung, angesichts der Arroganz und des Nichtwissens der politischen Entscheidungsträger bedürfe es einer Politiker-Akademie mit dem besten Curriculum, um eine Neuorientierung in die Wege zu leiten.

Der Moraltheologe Volker Eid hielt den PolitikerInnen ihre Sünden vor, die sie für viele unglaubwürdig werden ließen. Gefordert seien Handlungskonzepte und nicht gebetsmühlenartige Aufrufe zur Aufwertung der freiwilligen Dienste, die von Opaschowski bis Saibold gemeinsam gefordert wurden. So mißbraucht, erscheine das freiwillige Ehrenamt nur als die billigste Lösung, damit die Industrie genauso weitermachen könne wie bisher.