"Hier geht es nicht nur um das Geld"

■ Die GLS Gemeinschaftsbank geht mit Geld und Menschen anders um als die konventionellen Banken. Die Kreditnehmer zahlen keine Zinsen, sondern Bankkosten. Interview mit Banksprecher Stephan Rotthaus

Die genossenschaftlich organisierte GLS Gemeinschaftsbank in Bochum gehört zu den wohl ungewöhnlichsten Kreditinstituten der Bundesrepublik. „Wer Geld bei dieser Bank anlegt, tut dies in erster Linie mit Rücksicht auf den Geldbedarf anderer Mitglieder“, heißt es in der Satzung. Die 1974 gegründete Non-profit-Bank arbeitet nach anderen Prinzipien als die herkömmliche Kreditwirtschaft: Die Buchstaben „GLS“ stehen für „Gemeinschaftsbank für Leihen und Schenken“. Ihre Partner bei der Geldverwaltung sind die ebenfalls zum Unternehmen gehörende Gemeinnützige Kredit-Garantie-Genossenschaft sowie die Gemeinnützige Treuhandstelle. Andreas Lohse unterhielt sich mit dem Sprecher der Bank, Stephan Rotthaus.

taz: Der Gründer der GLS Gemeinschaftsbank war kein Banker, sondern Jurist und zudem – so wird häufig betont – Anthroposoph. Ist das denn im Bankgeschäft überhaupt von Bedeutung? Geschäft ist schließlich Geschäft, und Umsatz ist Umsatz.

Stephan Rotthaus: Eben nicht. Wir verstehen die Gemeinschaftsbank als genossenschaftliche Selbsthilfeeinrichtung ihrer Mitglieder und Kunden. Es geht nicht einfach darum, Geld zu machen. Es geht auch nicht nur um das Geld an sich, sondern um das Verhältnis zwischen Menschen – was in der Wirtschaft allerdings eng mit Geld zusammenhängt. Denn man braucht es, um mit anderen Menschen zusammenzuarbeiten. Diese Prozesse zu gestalten ist Aufgabe der Gemeinschaftsbank.

Die GLS ist also kein Geld verleiher, sondern Geld vermittler – Leute, die Geld haben, leihen es einer zentralen Vereinigung, nämlich der GLS, aus deren Topf sich wiederum Leute Geld leihen?

Das genau ist der Punkt. Doch darüber hinaus kommt es ganz entscheidend darauf an, daß sich dieser Vermittler, also die Bank, durchschaubar macht. Damit wird auf der einen Seite für Geldanleger nachvollziehbar, was mit ihrem Geld geschieht, und auf der anderen Seite wissen die Kreditnehmer, woher das von ihnen geliehene Geld kommt.

Aber wenn ein Kreditnehmer in Schwierigkeiten gerät und das Geld nicht zurückzahlen kann, rückt ihm auf ganz normalem Weg der Gerichtsvollzieher zu Leibe.

Nein, das hat es bei der GLS- Bank noch nicht gegeben. Wir versuchen neue Formen des Umgangs miteinander zu entwickeln. So wurde beispielsweise vor fünf Jahren ein Ausgleichs- und Sicherungsfonds entwickelt: Die Kreditnehmer zahlen dort freiwillig Beiträge ein, um sich im Falle unvorhergesehener wirtschaftlicher Schwierigkeiten bei der Rückzahlung gegenseitig zu helfen. Es geht allerdings nicht nur darum – wie etwa beim Einlagensicherungsfonds der Volksbanken –, unserer Bank Sicherheit zu geben, sondern vielmehr darum, die Kreditnehmer zu schützen. In der ganzen Zeit unseres Bestehens haben wir also noch nie jemandem einen Gerichtsvollzieher schicken müssen.

Nun sind die klassischen Kriterien einer Geldanlage: Ertrag, Sicherheit und Verfügbarkeit. Bei Ihnen steht aber die Verwendung der Gelder im Vordergrund. Ist mein bei Ihnen angelegtes Geld also weder ertragreich noch sicher oder verfügbar?

Es kann alles drei sein. Wer aber zur Gemeinschaftsbank kommt, hat nicht in erster Linie die Absicht der Gewinnmaximierung, sondern er möchte sein Geld sinnvoll verwendet wissen. Anleger können uns sagen, wie ihr Geld eingesetzt werden soll, sei es nun im Bereich ökologischer Landwirtschaft oder zur Unterstützung einer Schule. Dann können wir ihm sagen, welche Sicherheit und Rendite in dem von ihm gewählten Bereich möglich ist – in Abhängigkeit von den Projekten, die er unterstützen möchte.

Als Kapitalanleger ist also bei Ihnen nichts zu holen – der Verdienst ist eher moralischer denn monetärer Natur.

Natürlich bewegt sich die GLS im Rahmen der Marktwirtschaft, und wir haben Beziehungen mit Kreditnehmern und Anlegern wie andere Banken auch. Wir versuchen aber, aus der Anonymität des Geldmarktes herauszukommen, die dadurch gekennzeichnet ist, daß man nicht die Folgen seiner Geldanlage erkennt. Lege ich mein Geld konventionell und marktüblich an, reiche ich es über den Banktresen, bekomme meine Rendite, und ansonsten bleibt die Bank eine Black box: Ich erfahre wenig darüber, was mit dem Geld passiert.

Ist doch aber eigentlich eine prima Sache: Ich trage mein Geld dorthin und muß mich um nichts anderes kümmern als darum, wer mir am meisten für das Geld, das ich verleihe, bezahlt.

Wem das reicht, der ist dort sicher gut aufgehoben. Es gibt aber viele Menschen, die selber Verantwortung für ihr Handeln übernehmen wollen. Dann ist eine Bedingung, daß sie erkennen, welche Folgen ihre Handlungen haben. Und diese Erkenntnis kann man bei konventionellen Banken nicht gewinnen.

Und wie erkenne ich die Folgen meines Handelns, wenn ich Ihnen mein Geld leihe?

Unter anderem durch den Jahresbericht der GLS. Dort ist sehr detailliert – nach Postleitzahlen sortiert – aufgelistet, welche Projekte mit dem Geld finanziert werden, das uns die Anleger zur Verfügung stellen. Zum anderen bieten wir Anlagemöglichkeiten, bei denen gezielt das Geld in genau bezeichnete Projekte eingebracht werden kann. Indem wir den Mechanismus des Geldweiterleitens transparent machen, erklärt sich beispielsweise auch die Höhe unserer Kostendeckungsumlage.

Inwiefern?

Die Gemeinschaftsbank vergibt die meisten Kredite nicht gegen Zinszahlung, sondern gegen eine Kostenumlage. Die Kreditnehmer tragen also allein die Kosten, die für die Bankarbeit entstehen. Jede zusätzliche Mark, die wir dem Sparer an Zinsen zahlen, bedeutet eine Mark mehr an Belastung der Kreditnehmer durch die Kostenumlage. Aus Sicht der Sparer ist dieses Verfahren sehr durchschaubar, weil jeder weiß, daß jede Mark mehr an Zinsen direkt aus den Taschen der Kreditnehmer kommt.

Ist das nicht reine Definitionssache, ob ich Zinsen zahle oder die Kosten der Bank auf alle umgelegt werden?

Mitnichten. Die Kostenumlage der Bank beträgt seit Bestehen der Bank zwischen 2,5 und 4,8 Prozent der Kreditsummen, ohne weitere Nebenkosten. Das ist meilenweit von marktüblichen Zinsen entfernt.

Laut Geschäftsbericht 1994 beliefen sich die nicht anderweitig gedeckten Kosten der Bank auf 2,2 Millionen Mark. Verteilt auf das Kreditvolumen, kostete ein Kredit 4,4 Prozent. Gibt es also in einem Jahr zufälligerweise nur noch halb so viele Kreditnehmer, verdoppeln sich für alle anderen die Kosten. Wie kann ich denn da im Vorfeld noch nach diesem Zufallsprinzip kalkulieren? Sie können doch nicht garantieren, daß nicht beispielsweise im nächsten Jahr statt 4,5 Prozent nun 10 Prozent an Kosten entstehen – und damit auch von den Kreditnehmern gezahlt werden müssen.

Theoretisch wäre das möglich, aber nicht praktisch. Wir sind nicht allem ausgeliefert, sondern haben Steuerungsmöglichkeiten. Unsere Erfahrung zeigt: Die Kostenumlage hat sich in den letzten 20 Jahren im Rahmen der genannten Prozentzahlen bewegt. Außerdem können wir selbst beeinflussen, wie viele Kredite vergeben werden, um damit die Kostenumlage möglichst gering zu halten.

Wer ist denn „klassischer Kreditnehmer“ bei Ihnen?

In der Regel sind das soziale oder ökologische Projekte. Der größte Teil geht in den Bereich freie Schulen und Waldorfpädagogik, dann kommen Initiativen aus Ökologie, Landwirtschaft und Naturkost, schließlich noch Heilpädagogik und Sozialtherapie. Gemeinsam ist den meisten, daß es nahezu kaum private Unternehmen sind, sondern gemeinnützige Vorhaben, in denen es nicht nur ein paar „Macher“ gibt, sondern ein das Projekt unterstützendes Umfeld vorhanden ist – das Projekt also von mehr Menschen als nur dem Antragsteller gewollt ist. Dieses Bürgerengagement finanziert die Gemeinschaftsbank. Wir bieten Spareinlagen und Beteiligungen – aber der Besitzer eines Eigenheims, der zur Modernisierung seiner Ölheizung im Keller einen Kredit braucht, ist bei uns an der falschen Adresse.

Wenn ich mit einem Kreditwunsch zur Deutschen Bank gehe, wollen die bestenfalls meine Geschäftsberichte sehen, schlimmstenfalls Bürgen. Was fordern Sie von den Kunden?

Auch wir müssen natürlich die wirtschaftliche Lage und Perspektiven solcher Unternehmungen genau betrachten. Das ist aber nicht der allein entscheidende Punkt einer Kreditvergabe. Wir sehen uns auch an, welche soziale oder ökologische Wirkung ein solches Projekt haben kann. Auch gibt es oft eine Zahl von Menschen, die spezielle Projekte unterstützen wollen, und die beziehen wir in solche Finanzierungen mit ein.

Und was bedeutet das „Schenken“ im Namenszug? Zu verschenken haben Banken in der Regel ja nichts.

Das Institut heißt „Gemeinschaftsbank für Leihen und Schenken“, weil wir in die Finanzierung der Projekte auch Schenkungsgelder einbeziehen. Wir haben Instrumente entwickelt, mittels deren man die Unterstützung aus dem Umfeld des Projekts in die Finanzierung einbauen kann, wie etwa über Leihgemeinschaften.

Was ist das?

Angenommen, jemand will eine freie Schule initiieren, und das Projekt wird von 100 Eltern unterstützt. Die brauchen aber Eigenkapital in Höhe von 500.000 Mark, und das hat normalerweise niemand auf dem Sparbuch. Nun können sich diese 100 Eltern zu einer Leihgemeinschaft zusammenschließen, wobei jeder ein Darlehen von 5.000 Mark bei uns aufnimmt, zu Kosten in Höhe der schon genannten Umlage. Dann zahlt jeder persönlich sein Darlehen in Beträgen von vielleicht monatlich 100 Mark zurück. Wir können nun der Initiative 500.000 Mark als Eigenkapital zur Verfügung stellen und finanzieren somit das Engagement der Bürger, die sich zusammentun, um eine Aufgabe selber in die Hand zu nehmen. Mit dem Eigenkapital bekommen sie dann bei jeder Bank die erforderliche Restfinanzierung, zum Teil kann auch dies die GLS leisten.

Diese 100 Unterstützer des Projektes sind also bereit, den Kredit persönlich zurückzuzahlen, somit das Geld dem Projekt zu schenken – nicht alles sofort und direkt, sondern verteilt über vielleicht vier Jahre.

Es gibt damit keinen einzelnen Kreditnehmer, der möglicherweise pleite geht, sondern Sie verteilen die Sicherheiten auf eine Vielzahl von Leute, auf die Sie im einzelnen dann Zugriff haben.

Nein, denn wir wollen eben nicht auf den einzelnen „zugreifen“. Deshalb nennen wir das Ganze auch Leihgemeinschaft. Denn gleichzeitig verpflichten sich diese 100 Menschen untereinander für den Fall, daß ein einzelner zum Beispiel wegen Arbeitslosigkeit seinen Kredit nicht mehr aus eigener Kraft tilgen kann, sich gegenseitig zu helfen. Das funktioniert in der Regel hervorragend.

Es gibt eine von Ihnen finanzierte Bürgerinitiative, die bundesweit Furore macht: Die Gemeinde Schönau im Schwarzwald will ihre Stromversorgung aus regenerierbaren Energiequellen selber organisieren, um nicht von Atomstrom abhängig zu sein. Haben Sie noch andere solche Projekte unterstützt?

Vor diesem Energiefonds Schönau haben wir Windenergiefonds aufgelegt, mit denen wir zum Beispiel einen Zusammenschluß norddeutscher Biolandwirte unterstützten, die – damals noch pionierhaft – Windkraftanlagen auf ihren Höfen gebaut haben. Ein anderes Beispiel ist die Unterstützung der Initiative „Wasserkraft Sachsen“, ein Zusammenschluß von kleinen privaten Wasserkraftbetreibern, die im Zuge der Rückübertragung ihre stillgelegten und zum Teil völlig verrotteten Klein- und Kleinstanlagen zurückerhielten. Aus eigener Kraft und nur mit Selbsthilfe wäre die Reaktivierung dieser Anlagen nicht zu finanzieren gewesen.

Das Problembewußtsein hinsichtlich ökologischer Zusammenhänge ist in den letzten zwei Jahrzehnten enorm gestiegen. Spiegelt sich das auch bei Ihrer Kreditvergabe und den Antragstellern wider?

Vor fünf Jahren hat die Gemeinschaftsbank begonnen, sich weit über den anthroposophischen Bereich hinaus zu öffnen; auch im Bereich der Kreditnehmer. Wir merken ganz deutlich, daß zunehmend auch Ökoprojekte anfragen. So haben wir beispielsweise bei Car-sharing in Berlin 20 Autos finanziert, eine Reihe von Projekten für die Nutzung von Windenergie, im Moment sind wir bei der Vorbereitung eines Solarenergiefonds.

Nun gibt es die tollsten Geschichten von Schenkungen in Millionenhöhe an die GLS. Sind das alles alte Leute ohne Erben, die in ihrem Leben einmal noch etwas Gutes tun möchten – und das Geld genausogut dem Tierschutzverein hätten spenden können?

Noch bevor die Leute zu uns kommen, haben sie sich in der Regel schon viele Gedanken zu der Frage gemacht, wieso die Investition von Kapital so automatisiert sein muß, ohne das Ergebnis beeinflussen zu können – was bei konventionellen Anlageformen oder auch bei Vererbung der Fall ist. Die Leute haben mitunter keine Kinder – oder die sind schon versorgt. Sie brechen dann aus den eingefahrenen Bahnen des Geldverkehrs aus und suchen gesellschaftlich positive Ansätze.

Das sind in der Regel Menschen, die das nicht aus einem sentimentalen Gefühl heraus tun, sondern Leute, die sich zum Lebensabend überlegen, was sie mit ihrem Geld anfangen, um die Gesellschaft der Zukunft sinnvoll zu gestalten. In oft langwierigen Prozessen und Beratungen lösen sich diese Menschen sukzessive von ihrem teilweise sogar erheblichen Vermögen. Sie haben meist starkes Interesse daran mitzugestalten, was genau mit diesem Geld geschieht, und sie beschäftigen sich sehr intensiv damit, wie sich die von ihnen unterstützten Initiativen entwickeln. Wir wickeln solche stiftungsähnlichen Vorgänge über die Gemeinnützige Treuhandanstalt ab, in der sich 260 gemeinnützige Vereine zusammengeschlossen haben.

Nun muß auch die GLS – wie alle Banken – einen Teil der Einlagen als Liquiditätsvorsorge bei anderen Banken anlegen. Das wiederum bedeutet doch, daß ich mit meinem Sparbuch bei Ihnen beispielsweise nicht nur das Geburtshaus Wuppertal unterstütze, sondern gleichzeitig auch einen Rüstungskredit für Tretminen, weil die anderen Banken das Geld irgendwo und nur von den Banken selbst kontrollierbar investieren.

Dem kann sich die Gemeinschaftsbank ebensowenig entziehen wie andere Banken. Es ist eine Illusion zu glauben, daß man in der heutigen Welt von allen bösen Dingen unbefleckt durchs Leben wandeln und allein durch einen anderen Umgang mit seinem privaten Kapital solche Dinge verhindern könnte. Es gibt für Rüstungsprojekte, Atomindustrie oder Großchemie auf den Weltmärkten überreichlich Kapital, solange nur die Rendite stimmt. Das Entziehen des Kapitals durch einzelne oder auch viele Kapitalanleger ändert an der Finanzierung solcher Projekte kaum etwas. Was ich aber tun kann, ist, positive Impulse zu setzen. Und das kann ich auch dann sehr wohl, wenn die GLS gezwungen ist, einen Teil des Geldes wiederum bei anderen Banken zu hinterlegen. Die Zinserträge daraus werden bei der Gemeinschaftsbank wieder dazu verwendet, die Belastung für die gemeinnützigen Kreditnehmer zu senken.

Sie legen also das Geld ganz konventionell bei der Bank an, die es am besten verzinst?

Wir legen das Geld bei der Zentralbank der Genossenschaftsbanken an. Was mit dem Geld passiert, ist allerdings klar: Es fließt in den allgemeinen Geldkreislauf. Da haben wir keine Gestaltungsmöglichkeiten, denn eine Liquiditätsvorsorge ist gesetzlich vorgeschrieben. Diese Kröte muß man schlucken.

Interview: Andreas Lohse