Ramba-Zamba im Schottenrock

■ Zwei Abende „Off-Festival '95“ im Wehrschloß: 22 Arten, laut Gitarre zu spielen

Alle Jahre wieder öffnet das Wehrschloß ein Wochenende lang Tür und Tor für Bremens Band-Nachwuchs und nennt das ganze „Off-Festival“. Weil die MusikerInnen nicht unter sich bleiben wollen, wird aufs Eintrittsgeld verzichtet, damit sich die mißtrauischen BremerInnen in ein Konzert trauen, bei dem die meisten Namen unbekannt sein dürften. Am vergangenen Freitag und Samstag wurde diese Möglichkeit wie üblich von zahlreichen Neugierigen wahrgenommen.

22 Bands in zwei Abenden unterzubekommen will straff organisiert sein. Da mußte sich eine spielfreudige Band wie die „Ramenoes“ schon mal mit einem strengen „Ihr seit durch!“ das Maul verbieten lassen. Dabei waren sie noch lange nicht durch; schließlich konnten sie aus einem schier unerschöpflichen Repertoire schöpfen. Die lustige Truppe, die vom Ex-“Mutant Gods“-Sänger und „Dead Nigel Kennedys“-Geiger Stone angeführt wurde, hatte sich ausschließlich auf Cover-Versionen der US-Traditions-Punker „The Ramones“ eingeschossen, die sie genauso halsbrecherisch schnell und liebenswert schlampig wie ihre großen Vorbilder spielten. Bisweilen hörte es sich sogar so an, als wiederholten sie lediglich ständig den selben Song, was wohl der konsequenteste aller möglichen „Ramones“-Tribute gewesen wäre.

Den älteren Punks im Publikum gefiel es dementsprechend zum Hochhüpfen und Einander-anspringen gut, während ihre konzerterfahrenen und treuen vierbeinigen Freunde nur gelassen neben den Boxen lagen und selbst dann gelangweilt gähnten, wenn ihnen ein übereifriger Hüpfer auf die Pfoten hüpfte.

Härte wurde erwartungsgemäß groß geschrieben beim „Off '95“. „Misconcieved“ wirkten in Auftreten und Musik wie der Prototyp einer Nachwuchs-Metalcore-Band. Erstmal kündigte der Sänger mit zurückhaltender, jungenhafter Pieps-Stimme an: „Ja hallo, wir sind 'Misconcieved', und wir fangen jetzt einfach mal an...“, aber was dann zur monströsen Gitarrenwand aus der selben Kehle kam, war ein einziges unheilvoll-düsteres „GRRRRROOOOAAAARRR!“, das den ganzen Auftritt lang durchgehalten wurde. Das war ebenso bemerkenswert und sympathisch wie unfreiwillig komisch. Die Instrumentierung aus viel Geholze und genau der richtigen Dosierung Musikalität konnte sich allerdings ohne Abstriche hören lassen. Das fanden auch die Headbanger in der ersten Reihe, von denen man bei besonders schüttelfreudigen Passagen auf den hinteren Plätzen einzig die fliegenden Haare sehen konnte, die hin und wieder über den Köpfen der Umstehenden auftauchten, um sofort wieder abzutauchen.

Manche Bands übertrieben ihren Willen zur Härte aber auch ganz entschieden. Obwohl Konkurrenzdenken und Mißgunst fern waren an beiden Abenden, konnten sich einige Musikerkollegen anderer Gruppen beim Auftritt der Breitbein-Metaller „Ancient Curse“ nicht zurückhalten mit gnickernden Unmutsäußerungen. „Die posen sich aber einen ab, naja, man war ja selbst mal jung...“ fand ein gestandener multiinstrumentaler Hansdampf in allen Gassen und vielen Bands, oder: „Bei deren Beschreibung steht: '2 Gitarren'. Klingt eher wie 2000.“

Ein gewisser Hang zum Showgehabe war auch den „Lowlandern“ nicht abzusprechen. Sie spielten ihren Rock, der direkt aus einer 60er-Jahre-Garage zu kommen schien, wieder einmal in Schottenröckchen und –käppchen aber ohne Dudelsack. „Ramba-Zamba-Musik,“ fand ein Besucher, „aber nicht schlecht.“

Wer dann doch mal Ruhigeres bieten wollte, war ob der Überpräsenz des Gröberen verunsichert. „Viviparous“ aus Achim kamen zunächst scheinbar als typische Schülerband mit Fönfrisuren, Pfirsichhaut, Dackelblick und Weltschmerzlyrik (englisch) daher und entschuldigten sich schon vor dem ersten Tönchen, daß sie nicht „so laut und so schnell“ seien. Das Bangen vor Publikumsunmut war unnötig: Ihr äußerst professioneller und somit manchmal zu glatter Pop-Rock kam gut an, klang in den rockigeren Passagen wie „Stiltskin“, und in den poppigeren durfte ein Mädchen mitsingen. Wirklich sparen hätten sich die jungen Leute allerdings das allzu aufgesetzte Neil Young-Cover als Zugabe, wo doch Zugaben in der engen Programmplanung etwas Seltenes und Kostbares waren. Der Gastsänger beim Young-Cover hatte bezeichnenderweise noch seine eigene Band namens „Farmer John“ (für Spätgeborene: es gibt auch einen Neil Young-Song dieses Namens) dabei, mit der er Rekordverdächtiges leistete. Beweisen kann man es hier nicht, aber es besteht die Wahrscheinlichkeit, daß sich noch nie zuvor soviele Akkustikgitarren auf einmal auf der Wehrschloß-Bühne befunden hatten wie beim „Farmer John“-Auftritt: Sie hatten gleich zwei dabei. Dementsprechend wenig interessierte der unauffällige Folkrock die BesucherInnen, die kein Bandmitglied persönlich kannten. Die Jungs in Baseballmützen und Kapuzenpullis und die Mädchen in „Bad Religion“-T-Shirts unterm offenen Holzfällerhemd verzogen sich bereits beim Anblick von Klampfe und Mundharmonika an die Theken und ließen den Gesprächsgeräuschpegel deutlich ansteigen. Zeit ein Bier zu trinken, ein Fladenbrot mit Tomate zu essen und auf den nächsten hartrockenden Akt zu warten, der sicherlich nicht lange auf sich warten lassen würde.

Andreas Neuenkirchen