■ Anläßlich des Volksbegehrens in der katholischen Kirche
: Pilze und Bäume

Die größte Pflanze der Welt ist – nein, nicht der Mammutbaum, sondern ein Pilz! Die Wissenschaftler waren selbst vollkommen überrascht von der riesenhaften Ausdehnung dieses Pilzmyzels in einem amerikanischen Naturschutzgebiet. Sie waren von den sichtbaren Fruchtkörpern ausgegangen und hatten so die eigentliche Größe und Vitalität des unterirdisch wachsenden Myzels übersehen – Pilze und Bäume wachsen im Wald in symbiotischen Lebensgemeinschaften und sind wechselseitig aufeinander angewiesen, um zu existieren.

Die kirchlichen Hierarchien haben ihre Wurzeln vergessen. Sie sind in ihren Bemühungen, dem lebendigen Glauben einen Rahmen zu geben, zu weit gegangen. In ihrem Bestreben, der Quelle eine schöne Fassung zu geben, haben sie rund um diese Quelle herum eine mächtige Trutzburg errichtet, die die Menschen vom Wasser abschneidet, statt ihnen den Zugang dahin zu ebnen. Diese Burg ist ihren Gralshütern heiliger als das Leben, und sie verteidigen den Bau mannhaft gegen die Durstigen.

Das ist alles wohlbekannt, oft gesagt, analysiert, kritisiert worden. Die Amtskirche ficht das nicht an, im Gegenteil: Weltweit werden die Bischöfe, Kirchenleute und Laien, die an der Seite der Ausgegrenzten, der Mühseligen und Beladenen stehen, mit Rede- und Schreibverboten belegt und aus ihren Ämtern verjagt. Die Diskriminierung von Frauen soll über Predigtverbot und fortdauerndem Ausschluß vom Priesterinnenamt bis in das nächste Jahrtausend festzementiert werden. Die verlogene kirchenamtliche Sexualmoral wird nicht nur in neuen Lehrschreiben verkündet, sondern soll weiterhin und noch rigoroser für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in kirchlichen Einrichtungen festgeschrieben werden. Und das alles in einer Zeit, wo die Kirche sich in vielen Dienstleistungsberufen eine durch und durch weltliche Monopolstellung angeeignet hat, aber gleichzeitig immer mehr Menschen – also auch Beschäftigte – konfessionslos sind!

Ein vorläufiger Höhepunkt dieser Prinzipienreiterei, Anmaßung und des dahinter stehenden einseitigen Machtanspruchs ist der aktuelle Kruzifix-Streit: Selten habe ich mich meiner Bischöfe so geschämt wie in den Tagen nach der Urteilsverkündung. Was ist in sie gefahren, daß sie sich erdreisteten, Vergleiche zwischen dem Bundesverfassungsgericht und den verbrecherischen Machenschaften von Nationalsozialisten im Dritten Reich zu ziehen? Mir kommt das so vor, als ob heute ein Echo des fundamentalistischen Anspruchs der Kreuzritterei, mit dem Papst Urban II. am 30. 7. 1095 auf der Synode von Clermont mit seinem „Gott will es!“ zum ersten Kreuzzug der europäischen Geschichte aufrief, über die Jahrhunderte hinweg nachhallt!

Aber der Kruzifix-Streit ist ein genaues Spiegelbild der Strukturkonservativen innerhalb und außerhalb der Kirchen: So wie konservative Politiker unbedingt ihr Kruzifix mit dem gefolterten und leidenden Jesus an jeder Schulklassenwand sehen wollen und gleichzeitig keine Skrupel haben, leidende Flüchtlinge am Kragen zu packen und aus dem Land zu werfen, so ist es auch den katholischen Amtshierarchien egal, daß ihrem durchaus weltlichen Arbeitgebermonopol und dem Glanz der Dome eine merkwürdige innere Leere und geistige Auszehrung innerhalb der Kirche entspricht. Der Mamutbau ist hohl!

Wie geht das katholische „Fußvolk“ damit um? Es hat folgende Möglichkeiten zivilisierter Art:

– sich dem Pulk der gleichgültigen Taufscheinchristen anzuschließen;

– enttäuscht, verbittert oder zornig die Kirche zu verlassen;

– sich eifernd dem selbsternannten „Heiligen Rest“ zuzuschlagen;

– oder aber sich auf den mühsamen Weg der Erneuerung in unserer Kirche zu begeben.

Im Kirchenalltag passiert alles gleichzeitig: Bischof Dyba von Fulda würde am liebsten noch alle „Nörgler“ vor die katholische Kirchentür setzen. Klein, aber fein, so hätte er gerne seine Kirche. Was scheren ihn die Sorgen des Fußvolks! Andererseits sind nur 14 Prozent aller deutschen Katholiken regelmäßige Kirchgänger, Hunderttausende verließen in den letzten Jahren die Kirche.

Und nun dieses Kirchenvolksbegehren mit seinen fünf Forderungen: 1. Aufbau einer geschwisterlichen Kirche, Mitsprache von Ostkirchen bei der Ernennung von Bischöfen; 2. volle Gleichberechtigung der Frauen, Zugang zum Priesterinnenamt; 3. freie Wahl zwischen zölibatärer und nichtzölibatärer Lebensform für PriesterInnen; 4. positive Bewertung von Sexualität; Frohbotschaft statt Drohbotschaft, z.B. keine Ausgrenzung wiederverheirateter Geschiedener und verheirateter Priester.

Das nun ausgerufene Kirchenvolksbegehren stellt eine neue Qualität in den Bemühungen der innerkirchlichen Erneuerungsbewegung dar. Sie verläßt damit den Raum von Hochschulen, Verbänden und organisierten Christenzirkeln und geht bis in jede einzelne Gemeinde. Sie legt in einem unspektakulären Text alle ihre wesentlichen Forderungen einer kirchlichen Strukturreform vor, die sie als Grundvoraussetzung dafür ansieht, die christliche Frohe Botschaft endlich wieder lebbar, spürbar und erfahrbar zu machen.

Das Kirchenvolksbegehren nennt beim Namen, was ganz viele Christinnen und Christen an der Basis seit langem empfinden, gibt diesem persönlichen, vereinzelten Empfinden eine gemeinschaftliche Stimme, einen Stift in die Hand, um mit eigenem Namen persönlich dafür einzutreten, und bildet ein Forum, diese Punkte miteinander zu besprechen.

Die Interpreten dieser Aktion sind oft skeptisch. Den einen ist das Kirchenvolksbegehren zu unspektakulär, den anderen zu sehr auf Strukturen bezogen. Von seiten der Amtskirche wird es als völlig überflüssig abgetan. Es ist aber auch viel Erwartung, Hoffnung, Neugier und untergründige Spannung im Raum. Wer sich am Kirchenvolksbegehren beteiligt, hat keine Garantie für einen erfolgreichen Reformimpuls. Wir sammeln Unterschriften bis zum 12. November. Dann sehen wir weiter!

Als Mittvierzigerin hat mich das Leben gelehrt, einen langen Atem zu haben. Ich lernte, daß man Früchte erntet, die man nicht gesät hat, und daß man selber für andere Generationen und Zeiten aussäen soll. Ich habe aber auch das Zusammenbrechen des Eisernen Vorhangs erlebt – wovon niemand glaubte, daß es noch zu unseren Lebzeiten geschehen würde. Und ich weiß von der unglaublichen Tatsache, daß ein Pilzmyzel mächtiger ist als ein Mammutbaum.

Also freue ich mich über dieses Kirchenvolksbegehren, unterstütze es nach Kräften und erwarte neugierig und gespannt, was daraus wird. Christa Nickels

Erweiterter Abdruck eines Aufsatzes in „Wir sind Kirche“, Herder, soeben erschienen