Umweltminister duschen mit Gebirgswasser

■ Europäische Umweltkonferenz in Sofia drückt sich um konkrete Probleme herum

Sofia (taz) — In der bulgarischen Hauptstadt Sofia fließt wieder Wasser. Tankwagen und Schlangen von Menschen, die auf ihre Wasserration warten, sind aus dem Stadtbild verschwunden. Zwar hat sich an der Grundwasserknappheit Sofias, hervorgerufen durch ein hoffnungslos kaputtes Leitungsnetz und verschwenderischem Verbrauch von Wasser, nichts geändert. Doch nachdem die Wasserknappheit in Sofia vor einem Jahr akut wurde und monatelang andauerte, begann die Regierung im letzten Frühjahr das Wasser im Rilagebirge anzuzapfen und nach Sofia zu leiten.

Eigentlich hatten bulgarische Umweltschützer dieses Vorhaben zu Fall gebracht und zwar im Jahr 1989, noch vor dem Sturz der kommunistischen Diktatur. Die derzeit regierenden Sozialisten, Nachfolger der Kommunisten, haben nun jedoch ernst gemacht mit dem Projekt. Statt der bulgarischen Metropole werden wohl ganze Landstriche im Rilagebirge austrocknen, befürchten Umweltgruppen. Aber dafür können die Umweltminister aus mehr als fünfzig Staaten, die derzeit in Sofia anwesend sind, in ihren Hotels wieder so lange duschen, wie sie wollen.

Ab heute findet in Sofia drei Tage lang die Europäische Ministerkonferenz „Umwelt für Europa“ statt. An ihr nehmen Umweltminister aus allen Ländern Europas, aus den USA, Kanada, Mexiko und anderen Ländern teil. Es ist die dritte Konferenz dieser Art und einziges europaweites Forum zu Umweltproblemen auf Staatsebene. Auf der Tagesordnung steht die Verabschiedung eines „Umweltprogrammes für Europa“, das von einer Bestandsaufnahme gegenwärtiger Umweltprobleme bis zu langfristigen Strategien die Elemente zukünftiger europäischer Umweltpolitik enthalten soll.

Viel Papier mit weitreichenden Vorschlägen, wenig Konkretes — so kommentieren die meisten unabhängigen Umweltschützer die Ministerkonferenz. Vertreter von Umwelt- und Nicht-Regierungs- Organisationen (NGO) aus fast allen Ländern Europas haben sich bereits am Sonnabend in Sofia getroffen, um gemeinsam ihre Forderungen an die Ministerkonferenz zu stellen.

Sie verlangen unter anderem, daß in den Text des „Umweltprogrammes für Europa“ und die Abschlußerklärung der Minister am Mittwoch konkrete Forderungen aufgenommen werden — zum Beispiel die Einführung einer Energie-, einer Kohlendioxid- und einer Flugbenzinsteuer sowie ein Atomteststopp. Doch nicht nur dafür bestehen kaum Chancen.

Viele NGO-Vertreter sehen in der europäischen Umweltpolitik auch keinerlei Fortschritt im Vergleich zur letzten Konferenz im schweizerischen Luzern vor zweieinhalb Jahren. Dort war ein „Umweltaktionsprogramm für Mittel- und Osteuropa“ verabschiedet worden, von dem außer der Übersetzung in die verschiedenen Sprachen nichts verwirklicht wurde. Dirk Hoffmann, Vertreter der Grünen Liga aus Berlin, meint überdies, daß westeuropäische Politiker interessiert seien, nur osteuropäische Probleme zu diskutieren, anstatt eine gemeinsame neue europaweite Umweltpolitik zu entwickeln. So werde Osteuropa als alleiniger Problemfall dargestellt; aktuelle Themen der westlichen Umweltdiskussion wie eine ökologische Steuerreform würden nicht angesprochen. Die Tagesordnung der Konferenz in Sofia beweist es: anderthalb Tage Debatte über Osteuropa, anderthalb Stunden über das „Umweltprogramm für Europa“. Ähnlich sehen das auch die meisten Vertreter osteuropäischer Umweltorganisationen, die auf der NGO-Konferenz in Sofia anwesend sind. Aber bulgarische Umweltschützer wollen die Konferenz dennoch nutzen, um auf die Probleme in ihrem Land aufmerksam zu machen. Die würde die bulgarische Regierung nämlich nicht zur Sprache bringen, meint Veleslava Tsakova, Vertreterin einer Gruppe, die sich mit der Verbreitung von ökologischen Ideen beschäftigt. Im Juni etwa hat die bulgarische Regierung zusammen mit dem Parlament das Umweltgesetz geändert: Die Vorschrift, daß alle Vorhaben in Industrie und Landwirtschaft ökologisch begutachtet und genehmigt werden müssen, wurde außer Kraft gesetzt. Damit könne die Regierung in Zukunft umweltfeindliche Projekte wie im Rilagebirge ohne Widerspruch durchsetzen, so Tsakova. Von denen gibt es noch mehr: Die bulgarische Regierung will nicht nur das Atomkraftwerk Kozloduj weiterbetreiben. Auch den Bau des Atomkraftwerkes Belene in Nordbulgarien, der 1989 abgebrochen wurde, soll wieder aufgenommen werden. Keno Verseck