■ Die Westdeutschen auf den Spuren des PDS-Erfolges: Blick in den Zoo
Jetzt wird wieder im Nebel gestochert. „Ich denke“, kommentierte SFB-Fernsehdirektor Horst Schättle das Berliner Wahlergebnis in den „Tagesthemen“, „daß nicht alle Wähler der PDS Kommunisten sind, die die SED-Diktatur wiederhaben wollen.“ Wer hätte das gedacht! So weit kann man also kommen, wenn man denkt. Nun gibt es zweifellos noch blödere Erkenntnisse über die PDS als diese, aber es macht sie nicht besser. Gerade diese westliche Mischung aus Gönnerhaftigkeit, die mit Aufgeklärtheit verwechselt wird, und ausgewiesener Kenntnislosigkeit über die PDS macht einen Teil des anhaltenden Wahlerfolgs dieser Partei aus.
Politik hat für viele Menschen im Osten immer noch mit Gefühl zu tun. Eine ihrer prägenden Erfahrungen der letzten Jahre ist Mißachtung. In diesem Gekränktsein – wie begründet oder unbegründet es im einzelnen auch immer sein mag – lassen sich wichtige Gründe dafür finden, warum über 35 Prozent der Ostberliner PDS gewählt haben: Da ist sicherlich Ideologie, von der viele ältere Menschen nicht lassen wollen, auch Nostalgie, aber da ist vor allem Selbstbehauptung, Protest und, gerade bei Jüngeren, auch Verachtung der westdeutsch geprägten Gesellschaft, die die 68er und damit große Teile der Grünen einschließt. Darauf baut die PDS. Sie gibt sich nicht nur als eine politische Partei, sondern als eine Art ostdeutsches Gesamtkunstwerk – nichts so richtig, doch irgendwie auch alles; für jeden ist etwas dabei.
Davor müssen viele Westdeutsche kapitulieren, weil sie Politik traditionell analysieren, aber nichts von der Seele dieses Kunstwerks wissen wollen. Sie blicken in den Osten wie in einen Zoo – irgendwie interessiert sie, was dort lebt, aber es bleibt in ihren Augen eine seltsame Spezies. Nach fünf Jahren deutscher Einheit sehen sie sich nur noch fassungslos der komplizierten Psyche des Ostdeutschen gegenüber. Der hat schon wieder PDS gewählt und am Sonntag abend dem greisen Stefan Heym zugejubelt und dem wegen seiner Stasi-Kontakte beim ORB gefeuerten Lutz Bertram; die Kultfigur hat bereits wieder, frech wie eh und je, moderiert – die PDS-Wahlparty.
Nach den dritten „Hiddensee-Gesprächen“ im Mai dieses Jahres, als sich Schriftsteller aus dem Osten von ihren Kollegen aus dem Westen wieder mal über alles Trennende zwischen ihnen belehren lassen mußten, hatte die FAZ eine Erleuchtung: „Es hat wohl leider die ganze Politik viel mehr mit Takt und Höflichkeit und Ehre zu tun, als man heute in Westdeutschland glauben mag.“ Das genau ist es. Diese Kategorien der Seele sagen mehr über den Erfolg der PDS als jede sich noch so schlau gebende Analyse. Jens König
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