„Keine Entwicklung ohne Demokratie“

In der Westbankstadt Nablus machen ehemalige Intifada-Aktivisten die Innenstadt unsicher. Die Bevölkerung hofft, daß nach dem Abzug der Israelis die palästinensische Polizei für Ordnung sorgt  ■ Aus Nablus Khalil Abied

Wenige Wochen vor dem geplanten Abzug der israelischen Truppen ist in Nablus kaum Vorfreude zu spüren. Als vor zwei Jahren das in Oslo ausgehandelte Grundsatzabkommen zwischen Israel und der PLO unterschrieben wurde, fand in der im Norden der Westbank gelegenen Stadt ein großes Fest statt. Zehntausende PalästinenserInnen zogen mit Fahnen durch die Straßen. Doch jetzt, nachdem Israel und die PLO das sogenannte Oslo-Zwei-Abkommen über eine Ausweitung der Autonomie auf die Westbank unterzeichnet haben, ist die Reaktion verhalten. Es gab keinerlei Veranstaltungen oder Kundgebungen.

„Die Palästinenser haben das Osloer Abkommen begrüßt, aber danach lange auf dessen Umsetzung gewartet“, erklärt Amin Makbul, der Vorsitzende der größten Palästinenserorganisation, al- Fatah, in Nablus, die Reaktion der Einwohner. „Deshalb wollen die Menschen jetzt zuerst konkrete Ergebnisse des Abkommens sehen, ehe sie an einen wirklichen Frieden glauben.“

Der Geschäftsmann Abu Asem faßt die Erwartungen der Bevölkerung so zusammen: „Wir wollen die israelischen Besatzungstruppen loswerden, wir wollen Sicherheit und Stabilität, um die Banditen unter Kontrolle zu bringen.“

Während der 28 Jahre israelischer Besatzung und während der Intifada war Nablus der Besatzungsmacht stets ein Dorn im Auge. Die Stadt war ein Zentrum des Widerstandes. Wahrscheinlich noch vor Jahresende werden sich die israelischen Soldaten zurückziehen. „Wir warten jetzt auf unsere eigenen Behörden und Polizisten, die uns vor den Siedlern schützen und in der Stadt für Sicherheit sorgen sollen“, sagt Abu Asem. Auch die meisten anderen Geschäftsleute klagen über die „Banditen“. Damit sind Jugendliche gemeint, die in der Zeit des Aufstandes gegen die israelischen Besatzer gekämpft haben und von den nun einige Banden gebildet haben, die Geschäfte überfallen und gewaltsam gegen mißliebige Personen vorgehen.

Ein hoher Mitarbeiter in der Stadtverwaltung, der aus Angst anonym bleiben möchte, berichtet, wie er eines morgens sein Auto von mehreren Geschossen durchschlagen vorgefand. Es sei eine Warnung gewesen, mutmaßt er, weil er am Tag zuvor einen nachlässigen Angestellten entlassen habe. Ein Geschäftsmann berichtet, sein Laden sei von Personen ausgeraubt worden, die man kenne. Jedoch würde es in Nablus niemand wagen, sie zur Verantwortung zu ziehen. „Für die Kontrolle dieser Banden wird unsere Unterstützung für die palästinensischen Regierungsbehörden wichtig sein“, sagt Abu Asem.

Viele Bandenmitglieder sind in Arafats al-Fatah

Die meisten der jugendlichen Bandenmitglieder gehören politischen palästinensischen Organsiationen an, mehrheitlich der von PLO- Chef Arafat geführten al-Fatah. „Das sind die Jugendlichen, die während der Intifada sechs Jahre lang keine Schule besucht und keinen Beruf gelernt haben“, sagt der lokale Fatah-Chef Makbul. „Während der Intifada war jeder von ihnen ein kleiner Straßengeneral. Heute fühlen sie sich ausgenommen und marginalisiert. Viele sind arbeitslos. Die wichtigsten Posten in der Regierungsbehörde gehen an Personen, die ihrer Meinung nach keine wichtige Rolle während des Aufstandes gespielt haben. Es ist eine große Herausforderung für die Regierungsbehörde, Arbeitsplätze für sie zu finden und ihnen wieder eine Zukunft zu geben.“

Ein im Juli vergangenen Jahres gewählter Stadtrat versucht sich der wirtschaftlichen und sozialen Probleme anzunehmen. „Als wir mit der Arbeit begannen, herrschte ein völliges Chaos“, erinnert sich Adnan Darhali, der stellvertretende Vorsitzende des Stadtrats. „Die Leute bauten Häuser ohne Genehmigungen. Viele bezahlten ihre Strom-, Wasser- und Telefonrechnungen nicht. Es fehlt an allem. Wir müssen Straßen bauen, ein Kanalisationssystem, Schulen und Gesundheitseinrichtungen.“

Darhali schätzt, daß der Stadtrat mit seinem begrenzten Budget von umgerechnet 40 Millionen Mark jährlich nur etwa 20 Prozent der notwendigen Dienstleistungsprojekte für die 120.000 Einwohner der Stadt leisten kann. „Mittlerweile finanzieren wir unsere beschränkten Projekte mit den Gebühren, die wir kassieren. Aber wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage und der hohen Arbeitslosigkeit können viele Leute nicht zahlen“, fügt er hinzu.

Schlechte Erfahrungen mit der Autonomieverwaltung

Für viele hängt die wirtschaftliche Zukunft der Stadt auch von der politischen Entwicklung ab. „Keine Entwicklung ohne Demokratie“ ist ein Satz, den man von vielen Gesprächspartnern hört. Die Erfahrungen mit der neuen palästinensischen Verwaltung im Gaza- Streifen und in Jericho waren in vielen Bereichen nicht ermutigend. Kritisiert wird insbesondere die zu starke Rolle der diversen palästinensischen Sicherheitsorgane, die Schließung von Zeitungen aus politischen Gründen und die Festnahme von Oppositionellen durch die palästinensische Polizei.

Um derartigen Problemen vorzubeugen, wurde Anfang des Monats eine „Nationale Konferenz“ von Nablus abgehalten. Unter den Teilnehmern waren Vertreter wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Organisationen sowie politische Gruppen einschließlich der radikalen Islamisten von Dschihad und Hamas und die marxistischen Gegner des Friedensprozesses. Einer der Organisatoren der Konferenz, der namentlich nicht genannt werden wollte, umriß die Intention der Veranstaltung so: „Wir wollten deutlich machen, daß alle Gruppen, sogar die Gegner des Friedensprozesses, die Freiheit haben, ihre Meinung mit demokratischen Methoden zu äußern. Außerdem wollen wir blutige Konfrontationen, wie sie in Gaza zwischen der Regierungsbehörde und Hamas stattgefunden haben, in unserer Stadt vermeiden.“