In Berlin-Marzahn geht die Sonne auf

■ Die PDS wird in Ostberlin mit großem Abstand zur stärksten Kraft, im Westen der Stadt ist sie dagegen schwächer als bei der Bundestagswahl. Der Erfolg ist ein Erfolg der Bezirksverordneten

Vorstandsmitglied André Brie sieht einen Slogan seiner Partei bestätigt. „Berlin wählt, Bonn sieht ROT!“ hatte die PDS im Berliner Wahlkampf plakatiert, und als der Landeswahlleiter in der Nacht zum Montag das vorläufige amtliche Endergebnis präsentiert, da scheint Bries Prophezeiung wahr geworden zu sein. 224.294 der über 1,6 Millionen Wahlberechtigten, das sind 14,6 Prozent, haben die Postkommunisten in Gesamtberlin zur drittstärksten Fraktion gemacht. In der Osthälfte der Dreieinhalb-Millionen-Stadt aber ist sie nun mit 36 Prozent die stärkste politische Kraft.

Im Westen der Stadt verfehlte Gysis Partei ihr Wahlziel dagegen völlig. Ganze zwei Prozent votierten für die Rechtsnachfolgerin der SED. Womit eine andere Wahlkampfparole der PDS eingelöst wird: „Im Osten geht die Sonne auf.“ Und wie es scheint, wird es auch so bleiben. Der Formel „Die PDS als linke Kraft darf keine Regionalpartei werden“, die gestern von Parteichef Lothar Bisky erneuert wurde, entpuppt sich im Licht des Wahlergebnisses vom Sonntag als Wunschdenken. Der Spagat, im Osten größte Volkspartei – im Westen linke Opposition, er läßt sich offensichtlich nicht machen. Auch wenn die PDS in Westberlin nicht schwächer ist als die FDP nach diesen Wahlen auf Landesebene, de facto mußte Gysis Partei im Westen einen Rückschlag hinnehmen. Denn bei der Bundestagswahl im Herbst des letzten Jahres stimmten in den Bezirken Kreuzberg und Schöneberg fast sechs Prozent der WählerInnen für Gysis bunte Truppe. Sie verhinderten damit ein Bundestagsdirektmandat für Bündnis 90/Die Grünen. Jetzt scheiterte die PDS in Kreuzberg bei den Wahlen zur Bezirksverordnetenversammlung mit 4,7 Prozent an der Fünfprozenthürde. Nach der Bremer Landtagswahl, in der die PDS keine drei Prozent erreichen konnte, ist damit auch der erneute Anlauf, als PDS im Westen Fuß zu fassen, gescheitert.

Im Osten haben die Demokratischen Sozialisten nicht nur prozentual, sondern auch real deutlich an Wählerstimmen hinzugewonnen. 34 von 36 Direktwahlkreisen wurden von der PDS in Ostberlin gewonnen, in zehn der elf Ostberliner Bezirksverordnetenversammlungen wird man die stärkste Fraktion stellen. Mindestens in zwei Ostberliner Bezirken, in Marzahn und Mitte, werden die übrigen Parteien einen PDS-Bezirksbürgermeister nicht verhindern können.

In der Euphorie des Sieges wurde der Bundesvorsitzende der PDS, Lothar Bisky, gestern in der Berliner Parteizentrale fast übermütig. „Wir haben“, so prognostizierte er, „unsere Möglichkeiten in Ostberlin noch nicht voll ausgeschöpft.“

Das einzige, was den demokratischen Sozialisten den Erfolg trüben konnte, war der Mangel an Kopfschmerztabletten nach der langen und feucht-fröhlichen Wahlnacht. Als Vertreterin der Ostberliner Interessen fühlt sich die PDS gestärkt, und natürlich war der Montag der Tag des Wahlerfolges, nicht der Tag der kritischen Auseinandersetzung mit dem, was die PDS in den letzten vier Jahren kommunal und landespolitisch geleistet hat.

Mit den Worten „Wir haben das Ergebnis an der Basis erkämpft, auch wenn die PDS stadtpolitisch nicht präsent gewesen ist“, hatte André Brie schon am Sonntag abend deutlich gemacht, daß auch innerhalb der Partei die Arbeit der letzten Abgeordnetenhausfraktion teilweise sehr kritisch beurteilt wird. „Die Wahl ist für uns eine große Verpflichtung, wir dürfen die Wähler nicht enttäuschen“, so formulierte es Bisky und forderte seine Berliner Parteifreunde auf, jetzt schnell ein politisches Profil zu entwickeln und sich nicht nur mit sich selber zu beschäftigen. „Wir sind“, so Bisky, „mit Vorschußlorbeeren versehen worden, da wird mir auch etwas bange.“

An der Ostberliner Basis, in der Ostberliner Kommunalpolitik, hat die PDS dieses Profilierungsproblem nicht mehr. 23 Bezirksstadträte, mit den Dezernenten in westdeutschen Großstädten vergleichbar, waren dort die letzten drei Jahre fest in die politische Verwaltung der Bezirke eingebunden. Die PDS ist in den meisten Ostberliner Bezirken die einzige Partei, die über eine gefestigte Basis verfügt und kontinuierlich kommunalpolitisch aktiv ist. Revolutionäres haben die GenossInnen nicht vollbracht, aber vom Arbeitslosenverband über die Sportvereine bis zur Vereinigung der Selbständigen hat die PDS für alle ein offenes Ohr.

Auch im Wahlergebnis schlägt sich nieder, daß die kommunalpolitische Arbeit der PDS mehr Anerkennung findet als die Landespolitik der PDS. Bei den Wahlen zu den Bezirksverordnetenversammlungen ist das PDS-Ergebnis in allen elf Ostberliner Bezirken besser als bei den Abgeordnetenhauswahlen.

Der Machtzuwachs in Ostberlin schlägt sich auch in einer veränderten Landtagsfraktion nieder. Aufgrund der vielen Direktmandate zieht für die PDS kein einziger Abgeordneter über die Landesliste in den Landtag ein. Die Direktkandidaten, die von der Basis nominiert wurden, vertreten im Gegensatz zum Landesvorstand teilweise sehr pragmatisch ihre Basis. „Da kommt einiges auf uns zu“, schwant selbst dem Bundesvorsitzenden Lothar Bisky. Und auch wenn die Landesvorsitzende Petra Pau weiter den Anspruch erheben will, linke Politik für die ganze Stadt zu machen, werden die PDS- Abgeordneten mehr als bisher die Interessen der Basis in den Ostberliner Bezirken berücksichtigen müssen. Wolfgang Gast/Christoph Seils, Berlin