Sanssouci
: Nachschlag

■ Eine Diskussion über Stalinismus und Nationalsozialismus

Im Rahmenprogramm der Berlin-Moskau-Ausstellung sollte über Stalinismus und Nationalsozialismus debattiert werden – Notwendigkeit des Vergleichs und Unmöglichkeit der Gleichsetzung. In seinem Eingangsstatement suchte der Historiker Ernst Nolte, das Material der Ausstellung nutzend, seine These zu begründen, wonach es gerade Größe und Schrecken der Oktoberrevolution waren, die den Nazis ihre Bahn vorschrieben. Die Angst vor dem „roten Terror“ sei historisch begreifbar und legitim. Da die Nazis von dieser Angst getrieben worden seien, müsse man ihr Handeln, bis zur Vernichtung der Juden hin, aus ihr heraus interpretieren. So weit und so bekannt die These vom „Prius“ der Bolschewiki und ihrer Revolution.

Auf Nolte antwortete Gesine Schwan, eine Premiere, wie sie selbst bekanntgab. Sie porträtierte Nolte als Schüler Martin Heideggers, für den Geschichte „Geschick des Seins“ war, unbeeinflußbar durch die Individuen, jenseits von Schuld und Verantwortung. Noltes Idee der Zeitgerechtigkeit sei in striktem Sinn amoralisch. So einleuchtend Schwans Verortung auch war – damit war der Abend gelaufen. Was Sonja Margolina über die unterschiedliche Struktur der Feindbilder, über die Vergleichbarkeit des Archipel Gulag und des KZ-Systems zu sagen hatte; was Michael Rohrwasser aus überlegener Kenntnis über die Funktion von Künstlern und Künsten in beiden Regimen beitrug – es blieb unbeachtet. Die beiden hätten gehen können, blieben aber artig sitzen. Das Publikum war empört.

Nicht ganz zu Unrecht wehrte sich Nolte gegen den Vorwurf Gesine Schwans, daß er sich gegenüber den historischen Fakten abdichte. Aber klar wurde an diesem Abend doch, daß Nolte historisches Material wie ein voreingenommener Staatsanwalt zusammensuchte: unkritisch, ungewichtet. Ob er nun Schulungsmaterial über die Bolschewiki heranzog, das den KZ-Befehlshabern übermittelt wurde; ob er aus frühen Gesprächen Hitlers eine Passage zitierte, in der die Revolte des Volkes Israel wider ihre Führer zur Zeit Mose gemäß der Parole „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ abgehandelt wird – zusammengestoppelte Ideengeschichte. Und dann doch der Pferdefuß: Seine Position, so Nolte, sei deswegen moralisch höherstehend, weil er aller Opfer gedenke. Um dann sofort fortzufahren, er wehre sich gegen die Verunglimpfung der Deutschen. Ein Ostberliner Kollege auf dem Heimweg: Warum habt ihr diesen Fascho bloß eingeladen? Christian Semler