„Ich war ein kleiner, fanatischer Nazi“

■ Otto Köhler wußte, daß der Journalist Peter Grubbe im Krieg Claus Volkmann hieß – und Nazi war. Er hat es verdrängt, schließlich schrieb Grubbe nach 1945 für die gute Sache

taz: Herr Köhler, der linksliberale Journalist Peter Grubbe ist identisch mit dem Nazi Claus Volkmann. Das hat die taz vor vier Wochen aufgedeckt. Volkmann war im Krieg Kreishauptmann von Kolomea – mitverantwortlich für den Mord an 30.000 Juden.

Otto Köhler: Ich hatte vor über 20 Jahren schon mal was in Sachen Volkmann/Grubbe gehört – und es war sicher ein Fehler, daß ich dem nicht nachgegangen bin. Da bin ich schuldig, und da mache ich mir auch gar nichts vor. Aber ich habe diesen Hinweis ignoriert, weil ich Grubbe als einen Journalisten kannte, der sich engagiert mit den Problemen der Dritten Welt auseinandersetzt. Ich wollte nicht glauben, daß er irgend etwas mit Nazi-Verbrechen zu tun hatte.

Die braune Vergangenheit der Medienmacher ist ja bereits seit einigen Jahren Ihr Thema. Wie kamen Sie dazu, sich damit näher zu beschäftigen?

Auslöser war der Fall Werner Höfer. Der kam 1987 ins Rollen und ist mit Grubbe vergleichbar: ein vorzüglicher Kollege, mit dem ich nur gute Erfahrungen gemacht hatte. Jeder lobte ihn als liberalen, umgänglichen Menschen. Manche schwärmten richtig von seiner Zeit als Chefredakteur des WDR. Als ich Höfers Geschichte recherchierte, wurde mir allerdings schnell klar, daß seine Ausrede, ihm sei in seine Texte „hineingeschrieben worden“, nicht stimmen konnte. Er hatte sich in vielen Fällen genauestens an die Anweisungen des Sicherheitsdienstes der SS, des SD, gehalten.

Ärzte, Juristen und Militärs haben ihre NS-Vergangenheit erfolgreich verdrängt und...

Auch die Journalisten waren in dieser Hinsicht äußerst erfolgreich: Sie haben ihre Vergangenheit ja selber in der Hand. Wir Journalisten haben die anderen angeklagt. Da ist es natürlich nicht so schön, wenn man selber Dreck am Stecken hat.

Auch in der Publizistikwissenschaft herrschte in Sachen Nazi- Vergangenheit das große Schweigen.

Das stimmt, bis in die 80er Jahre hinein war alles ruhig. Und das hatte seinen Grund: Der einflußreichste Zeitungswissenschaftler blieb auch nach dem Krieg Emil Dovifat. Der war zwar nicht direkt ein Nazi – er kam vom Zentrum –, doch er hat sich im Dritten Reich vollendet angepaßt. Dovifat hatte die Goebbels-Presse zum Idealfall erklärt und Hitler als größten Redner aller Zeiten besungen. Und neben Dovifat gab es noch Wissenschaftler wie Alfred Six, der 1941 das Vorkommando Moskau leitete. Six hat 90.000 jüdische Kinder, Frauen und Männer auf dem Gewissen. Oder Horst Mahnke, Assistent von Six an der Universität und späterer Adjutant beim Einsatzkommando. Mahnke war nach dem Krieg zusammen mit einem Ex-Kollegen aus dem Reichssicherheitshauptamt für eine Spiegel-Serie verantwortlich, in der es um Kaffeeschmuggler ging – und die Artikel strotzten vor wüstem Antisemitismus.

Horst Mahnkes braune Vergangenheit störte seine Karriere nicht im geringsten?

Nein, Mahnke wurde Ressortleiter beim Spiegel, dann Chefredakteur der Springer-Zeitschrift Kristall, danach „Überchefredakteur“ bei Springer: Er leitete Ende der sechziger Jahre die regelmäßige Konferenz der Springer-Chefredakteure. Während der APO- Zeit wurden hier die Befehle ausgegeben, wie mit den Studenten umzuspringen war. Mahnke förderte in seiner Zeit bei Kristall intensiv den Journalisten Paul Karl Schmidt...

...der in der NS-Zeit Chef der Nachrichten- und Presseabteilung im Auswärtigen Amt gewesen war.

Schmidt, der sich später Paul Carell nannte, war ein fanatischer Nazi und überzeugter Antisemit. Schmidt hat damals in Briefen den Abtransport der Juden von Budapest nach Auschwitz unterstützt. So regte er etwa an, man solle dafür „äußere Anlässe schaffen“, beispielsweise dafür sorgen, daß in den Synagogen Sprengstoff gefunden würde. Damit es im Ausland wegen der Abtransporte „kein Geschrei“ gebe.

Als Sie anfingen, die Nazi-Vergangenheit von Journalisten zu recherchieren, schrieben sie über sich selbst von der „Gnade der späten Geburt“.

1945, im Alter von zehn Jahren, war ich ein kleiner, fanatischer Nazi. Die Leseheftchen der „Kriegsbücherei der deutschen Jugend“ – das war mein Milieu. Hier schrieben junge Autoren ihre Mordprosa von Panzerspähtrupps, Fernkampffliegern und Feindfahrten mit dem U-Boot: Jupp Müller- Marein, später Chefredakteur der Zeit, Ludwig von Danwitz, später Leiter des WDR-Studios Bonn, Walter Henkels und Jürgen Eick, später FAZ, Henri Nannen, später Stern-Chef. Ich schwärmte damals für Hitler – und wenn die Befreiung durch die Amerikaner nicht gekommen wäre, weiß ich nicht, was aus mir geworden wäre.

Peter Grubbe hat eine klare Meinung zu seinem Tun als Nazi- Täter: Ich habe Leben gerettet, ansonsten habe ich nichts getan, nichts gehört, nichts gesehen – ich bin unschuldig.

Mein Grundsatz lautet: Wenn auch ich einmal Dinge geschrieben habe oder noch schreiben werde, derer ich mich schämen muß, dann möchte ich, daß jüngere Kollegen fragen: Warum hast du das getan? Fragten sie mich nicht, dann müßte ich einsehen, daß ich mein Leben lang einem verkommenen Beruf diente. Und genau das ist es, was ich an Peter Grubbe vermisse: Er war ein Journalist, der viel über die Not und das Elend der Dritten Welt geschrieben hat, dem es aber niemals eingefallen ist, das zu beschreiben, was er miterlebt, wahrscheinlich auch mit angeordnet hat. Da kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, er habe tatsächlich Schlimmes zu verbergen.

Grubbe sagt, er sei nicht Teil der Tötungsmaschinerie des Regimes gewesen, sondern nur ihr Aushängeschild.

Aber wenn man angeblich nur das Aushängeschild eines verbrecherischen Systems war, müßte man doch nach dem Ende dieses Regimes das dringende Bedürfnis haben, sein Schild zu reinigen und zu sagen, was wirklich war! Doch Grubbe hat geschwiegen und gibt ansonsten nur an, einzelnen Juden geholfen zu haben – das aber hat der spätere Adenauer-Helfer Hans Globke auch gemacht, der als Kommentator der Nürnberger Rassegesetze die Mitverantwortung für den Mord an Millionen Juden trug. Auch Hermann Josef Abs, der Chef-Arisierer der Deutschen Bank, ist schonend mit einigen Juden umgegangen, die er persönlich kannte.

Grubbe führt zu seiner Entlastung den Gouverneur von Lemberg, Ludwig Losacker, an. Dieser soll mit ihm zusammen falsche Pässe für Juden ausgestellt haben, um sie zu retten.

Grubbe sagt, Losacker sei deshalb 1944 zunächst zum Tode verurteilt, dann aber ins Strafbataillon 999 gesteckt worden. Ich habe bei Raul Hilberg, dem Chronisten der Judenvernichtung, nachgeschlagen: Dort taucht der Gouverneur Losacker mehrere Male auf, doch daß Losacker Juden geholfen hat, kann Hilberg nicht verzeichnen – nur daß Losacker nach 1945 Aufsichtsratsmitglied des Deutschen Industriinstituts gewesen ist.

Sowohl im Fall Höfer als auch bei Grubbe kamen Hinweise auf deren furchtbare Vergangenheit aus der DDR.

Im Grunde waren diese Hinweise meist kontraproduktiv. Höfer etwa hat damit hervorragend spielen können. Denn wer im Kalten Krieg darauf verweisen konnte, daß die Anschuldigungen aus dem Osten kamen, hatte sie damit auch sofort erledigt – war das doch absurderweise der Beweis für die eigene Unschuld. Interview: Hans-Hermann Kotte