„Det is für mir wie Joldstaub“

Eine Mark pro Zentner, zehn Tonnen am Tag, zum Frühstück 'ne Wurst: Udo schleppt für Kohlenkönig Braun Briketts in Berliner Keller und ist selbst ein kohlrabenschwarzer Gesinnungstäter  ■ Vom Prenzlauer Berg Bascha Mika

Schwarz ist die Nacht früh um fünf. Auf dem Kohlenplatz ist sie ein bißchen schwärzer. Ein kleiner gelber Bagger, den Greifarm angriffslustig nach vorne gereckt, flitzt brummend vom Kohlenberg zu einem der Laster. Stoppt rasant, kippt die Schaufel. Dumpf prasselnd landet der Koks auf dem Achttonner. Der Bagger dreht ab. Der Strahl seiner Scheinwerfer verliert sich in der rußigen Luft.

Irgendwo zwischen Eierkohlen und Briketts – „allet tadellose Ware“ – steht Kohlenhändler Braun und kommandiert seine Männer. Eigentlich hat man von ihm nur eine finstere Ahnung; in seiner dunklen Kluft verschwindet er fast auf dem lichtlosen Platz. „Det staubt wie Sau“, brummt er mit der Kippe im Mund, „aber man verdient jut mit dem Dreck. Für mir is det wie Joldstaub.“ Und damit möglichst viel davon an ihm kleben bleibt, ist Händler Braun schon „morgens um fünfe auf Arbeit“, wenn die Transporter das erste Mal laden. „Sonst fehlt mir was.“

Helmut Braun ist Kohlenkönig auf dem Prenzlauer Berg in Berlin: acht Angestellte, zehn Wagen, 5.000 Stamm- und 10.000 Laufkunden. Schon in der DDR war er Brennstoffhändler, hat sich vom Kohlenschlepper hochmalocht. „Heute beherrsch' ick den Prenzlberg zu siebzig Prozent. Da bin ick uff mir selber stolz.“ Sagt Braun und schreit im selben Atemzug über den Platz, daß sein aschgrauer Schnurrbart zittert: „Mensch, Udo, mach hinne!“

Udo hockt auf dem Gabelstapler und knallt die letzte Palette mit Brikettbündeln auf seinen Lkw. 160 Packen. Macht vier Tonnen oder achtzig Zentner. Er springt vom Stapler, schnappt sich vom Chef die Lieferpapiere, klettert hinters Steuer und rumpelt los. Der erste Kunde will seine Kohlen um sechs, noch bevor er zur Arbeit muß.

Um diese Zeit ist Udo noch sauber. Na, ja, fast. Um den Mund klebt bereits eine dünne Schicht Schmier. Sein kurzärmliges T-Shirt und die Arbeitshose sehen aus wie in Kohlenstaub gewaschen. Udo ist 24; nach der Schule war er Schäfer in Wittstock, heute ist er ein kohlrabenschwarzer Gesinnungstäter. „Kohle is jesund“, verkündet er wie ein Wunderheiler, „man bleibt körperlich fit, und den Staub hustet man abends wieder aus.“

Die Traumfigur eines Kohlenmanns – nur Knochen, Sehnen, Muskeln – hat er nicht. Udo ist eher die quadratische Variante. Ein viereckiges Paket mit rundem Kopf und rotbackigem Gesicht, das unter dem Kohlenstaub etwas Bäurisch-Ländliches bewahrt hat. „Als ich uff de Kohle anjefangen hab“, erzählt er und klatscht sich mit der flachen Hand auf den Bauch, „hab ich in drei Monaten dreißig Kilo abgenommen.“ Ein Jahr ist er jetzt dabei. Machen will er es, „solange et jeht mit die Knochen“. Manche seiner Kollegen schleppen bereits zwanzig Jahre.

Er tritt in die Bremsen. Erster Termin. Punkt sechs. Das Haus ist aus den zwanziger Jahren, der Kunde ein angeknitterter Jogginghosenträger. Udo schnallt sich ein speckiges Lederpolster um, legt sich drei Brikettbündel auf der Ladefläche zurecht, dreht ihnen den Rücken zu, faßt unter, hievt sie sich auf den gekrümmten Buckel, läuft los. Drei Meter über den Bürgersteig. Gebückt. Mit 75 Kilo. Bloß nicht in die Hundescheiße treten. Durch den Hausflur zum Hinterhof. Zwölf Meter. Im Laufschritt. Um die Ecke. Die Kellertreppe runter. Zehn Stufen. Halbe Drehung. Er keucht. Den Gang entlang. Der ist niedrig, keine 1,70. Rohre, die tückisch tief hängen. Durch die Lattentür in den Kellerraum. Er quetscht sich an den Kinderfahrrädern vorbei, dreht sich zur Wand, läßt die Kohlepacken zu Boden donnern. Rückt sie zurecht, richtet sich auf, knallt mit dem Kopf gegen die Decke. Flucht. „Güllekeller!“ Auf seiner Lippe klebt Schweiß.

150 Pfennig hat Udo jetzt verdient. Brutto. Bei Braun bekommen die Kohlenmänner pro Zentner eine Mark; das ist nicht schlecht in der Branche. Oft schleppt Udo 200 Zentner am Tag. Doch Kohle ist ein Saisongeschäft. Am schlechtesten ist die Auftragslage im Frühjahr, wenn die Leute mit dem Winter die Kohlen vergessen wollen.

Die Tour in den „Güllekeller“ macht der Kohlenmann dreizehnmal. Dann ist er ausgepumpt, sein Gesicht klütteschwarz und der Jogginghosenträger um eine Tonne „Rekord“-Briketts aus der Lausitz reicher. „Is 'ne jute Kohle. Mit der braucht man sich nich verstecken.“ Macht 390 Mark. Der Jogginghosenträger legt zehn Mark Trinkgeld drauf. Das ganze hat eine halbe Stunde gedauert, „man muß sich schließlich erst warm arbeiten“, brummt Udo.

Was die Kundschaft betrifft, hat der Kohlenmann so seine eigene düstere Philosophie. „Et jibt solche und solche.“ Manche würden einen schon mit 'ner Tasse Kaffee empfangen, für andere sei man der letzte Dreck. Manche würden einem zum Dank zwar die Hand drücken, aber nichts hinein. In diesem Beruf lerne man schnell, die Kunden richtig einzuschätzen. „Wenn ich schon einen taz-Aufkleber an der Wohnungstür sehe“, spottet Udo, „weiß ich gleich, da kommt nüscht an Trinkgeld, höchstens mal 'ne Mark.“

Es ist halb sieben, Udo hat Hunger. In der „Kohlegrube“ gibt's das „Kohlenträgerfrühstück“ für drei fünfundachtzig, an den Tischen sitzen schon jede Menge rußige Gestalten. Das Kiezcafé gehört Tochter Braun; nach der Wende hat sie aus dem alten Brennstoffladen ihres Vaters ein Lokal gemacht. Udo ißt 'ne Wurst, schlürft einen großen Pott Kaffee, schneuzt sich in ein schwarzbraunes Tempo. „Und weg!“ Draußen ist es inzwischen hell.

„Kohlen!“ brüllt Udo ins Treppenhaus. Die 84jährige Omi in Kittelschürze und Puschen hat ihren Keller tadellos aufgeräumt und selbst die Trittleiter mit einem Plastikhäubchen geschützt. „Kohlen!“ Der Rentner hat einen Nachbarn, der Udo mit dem Spazierstock bedroht, weil dieser die Rosen vor dem Kellerfenster etwas malträtiert hat. „Kohlen!“ Die Hausfrau hat zwar Briketts bestellt, ist aber nicht zu Hause. Und der taz-Leser am Prenzlberg gibt Udo nicht eine, nicht zwei, sondern gleich fünfzehn Mark Trinkgeld. Da ist Udo platt.

Seinen schwärzesten Tag als Kohlenmann hatte Udo, als er in einem Keller zusammenbrach. „Nach dreizehneinhalb Tonnen mit nichts im Bauch.“ Das war am Anfang seiner Schlepperkarriere. Mit Brötchen und Kaffee mußte ihn die erschreckte Kundin wieder auf die Beine bringen.

Von Fuhre zu Fuhre leuchten Udos grüne Augen heller aus dem rußigen Gesicht. Kohlen-Braun liefert in alle Bezirke Berlins. Udo kennt jeden Keller zwischen Zehlendorf und Hohenschönhausen. „Ein schöner Keller“ ist bequem zu erreichen, „Güllekeller“ sind die niedrigen, engen, voller Rohre und Sperrmüll. Wenn der Kunde es wünscht, wird nach oben in die Wohnung geliefert. Zwei Mark extra pro Treppe. Udo hat seine Briketts auch schon mal in der Badewanne abgeladen.

Letzte Fuhre. Mittag. Der Lkw ist leer. Zurück zum Kohlenplatz. Neu laden. Kaum rattert Udo durch die Einfahrt, wird er von der Seite angepflaumt. „Mensch, Udo, wo steckste denn so lange?“ Der Chef. Udo knurrt, Braun grinst. „Icke bin streitsüchtig. Det brooch ick, sonst langweile ick mir.“

Soweit läßt es Braun garantiert nicht kommen. Von morgens fünf bis abends sieben regiert er im speckigen Lederkäppi sein dunkles Reich zwischen Eierkohlen und Briketts. Befiehlt, treibt an, paßt auf. Steinkohlenhart und leicht entflammbar. „Ick bin immer da, ick sehe allet. Und bei einem Fehler muß ick mir selber uff die Backe haun.“ Der Mann will was, der will nach oben. Kohlenkönig ist er schon, er will mehr. „Wolln mal so sagen. Mein Jedanke jeht zum Millionär“, er lächelt verträumt, „aber ob ick det noch schaffe?“

250.000 Haushalte heizen in Berlin noch mit Kohle. Über hundert Händler leben davon. 1997 sollen die Öfen abgeschafft sein. Doch so schnell wird es sicher nicht gehen. Die Kohle, sinniert Braun, „is janz klar uffm Abstieg. Ick heiz ja selber nich mehr damit.“