„Waigel betreibt Hauruck-Politik“

■ Der grüne Abgeordnete Oswald Metzger zur Oppositionsstimmung im Haushaltsausschuß

taz: Aufgabe der Opposition ist die Kontrolle. Warum nahmen die Grünen gestern nicht an der Sitzung des Haushaltsausschusses teil?

Oswald Metzger: Weil Kontrolle ein Mindestmaß an Information voraussetzt. Wenn man als Staffage mißbraucht wird, dann ist es sinnvoller, als Opposition ein politisches Signal zu setzen und klarzustellen: Dieses Verfahren ist nicht in Ordnung, so können wir keine Haushaltsberatungen machen. Den Schweinsgalopp, den Waigel uns zumuten will, machen wir nicht mit. Wir haben seit Dienstag morgen auf eine Ergänzungsvorlage gedrängt, weil die Ausfälle höher sind, als Waigel einräumte. Sie machen rund fünf Prozent des gesamten Haushalts aus. Die Bündnisgrünen waren am Mittwoch der Motor des Handelns, wir haben das Thema Haushaltsloch ins Plenum hineingetragen und die SPD mitgezogen. Zum erstenmal kam Oppositionsstimmung auf, die Regierung war sichtlich unter Druck, der Ton gereizt. Politisch noch wichtiger ist, daß die SPD sich am Donnerstag durchgerungen hat, den Auszug aus dem Ausschuß mitzumachen. Die Opposition steht damit geschlossen gegen das Verfahren.

Die Liberalen nennen die Deckungsvorschläge des Finanzministers für das 20-Milliarden-Loch solide.

Was die Liberalen als solide bezeichnen, das wechselt nach dem Motto „mal hü, mal hott“. Die FDP hat hier doch eine politische Lachnummer abgezogen. Noch am Wochenende griffen FDP-Politiker Waigel mit dem Vorwurf der Unseriosität an und tönten, sie wollten ein Haushaltssicherungsgesetz. Am Abend dann landeten sie bei der Berlin-Wahl mit 2,5 Prozent unter dem Teppich. Einen Tag später erledigt Fraktionschef Solms im Bundesvorstand entsprechende Diskussionsbeiträge mit der Drohung: Das können wir nicht machen, sonst platzt die Koalition. Wenn die FDP Waigels Zahlen nun für solide erklärt, dann hat das nichts mit seriöser Haushaltspolitik, aber viel mit ihrem politischen Überlebenskampf zu tun.

Hat Finanzminister Theo Waigel den Haushaltsausschuß getäuscht?

Der Finanzminister hat mit Sicherheit seit Monaten gewußt, daß die Steuereingänge 1995 miserabel waren. Die Konjunkturdaten und Arbeitsmarktdaten haben nach unten gezeigt. Damit war klar: Die Nullbuchung für die Bundesanstalt für Arbeit ist nicht haltbar. Die Arbeitslosenhilfekosten steigen eher. Alle Standardfaktoren für die Einschätzung der Einnahmen waren seit Anfang September bekannt. Waigel aber hat bewußt gewartet bis unmittelbar vor Bekanntgabe der Steuerschätzung. Er kommt damit in eine Situation, wo er Veränderungen in Höhe von 20 Milliarden Mark unmittelbar vor der abschließenden Lesung als Tischvorlage in den Haushaltsausschuß bringen mußte. Das ist Hauruck- Politik. Jeder Vorstand eines Sportvereins hätte es abgelehnt, so eine Vorlage zu genehmigen. Waigels Zahlenpaket beinhaltet Luftbuchungen. So sind von den neun Milliarden Mark Privatisierungserlösen meiner Meinung nach höchstens die Hälfte realisierbar.

Warum rückte der Finanzminister nicht eher mit den Zahlen raus?

Waigel stellt alles zurück, was seinen Glanz als Haushaltsbändiger trüben könnte, weil die Bundesrepublik gegenwärtig neben Luxemburg als einziges Land die Maastricht-Konvergenzkriterien erfüllt. Wenn er die Risiken korrekt beziffert, dann würde die Nettoneuverschuldung im nächsten Jahr in gefährliche Nähe eines Schuldenstandes kommen, der das Maastricht-Kriterium von 60 Prozent bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt überschreitet. Dann würde Deutschland unter EU- Haushaltsüberwachung gestellt. Und Theo Waigel müßte den Glorienschein des Musterschülers der Währungsunion abgeben. Interview: Hans Monath