Unbekanntes Killervirus in Nicaragua

■ Eine rätselhafte Erkrankung versetzt Gesundheitsbehörden in Alarmzustand

Managua (taz) – Ein seltsames Fieber, das in den letzten Tagen mindestens ein Dutzend Nicaraguaner dahingerafft und weitere 200 auf das Krankenlager gestreckt hat, hat die Gesundheitsbehörden in Managua in Alarmzustand versetzt. Die Krankheit, die von Kopfschmerzen, Schüttelfrost und heftigem Zahnfleisch- oder Nasenbluten begleitet wird, trat zuerst in der Gemeinde Achuapa, einem Bergdorf 200 km nordwestlich von Managua auf. Während das noch immer nicht identifizierte Erregervirus sich inzwischen auf die angrenzenden Regionen ausgebreitet hat, rüsten sich auch die Nachbarländer Honduras, El Salvador und Costa Rica zur präventiven Seuchenbekämpfung.

Achuapa ist eine 16.000-Seelen- Gemeinde, die in den vergangenen Wochen mehrmals von verheerenden Hochwassern heimgesucht wurde. Das Vierfache der normalen Jahresniederschlagsmenge hat die trockene Bergregion in eine Brutstätte von jeder Art von Mosquitos gemacht. Anfangs wurde das unbekannte Fieber denn auch für eine besonders krasse Form von Malaria oder Dengue-Fieber gehalten, das auch von Blutungen begleitet wird. Untersuchungen von Blutproben, die von Erkrankten abstammten, verliefen jedoch negativ. Einige Experten sprachen von Gelbfieber, das in dieser Gegend als längst ausgerottet gilt, der Seuchenspezialist Alvaro Ramirez glaubte Ähnlichkeiten mit dem venezolanischen Guaranito-Virus zu entdecken. Selbst die international renommierte Seuchenklinik im US-Bundesstaat Atlanta, das Center for Desease Control, konnte aus ersten Blutproben keine schlüssige Antwort lesen.

Die Medien tauften den Erreger schließlich Achuapa-Virus, und einige verglichen ihn mit dem tödlichen Ebola-Virus, das vor einigen Monaten die Landbevölkerung in Zaire dezimierte. Das seltsame Fieber ist bei rechtzeitiger Behandlung nicht schwieriger heilbar als Dengue oder Malaria. Doch die Opfer, die mehrheitlich weit abseits des nächsten Gesundheitspostens lebten, suchten allesamt zu spät den Arzt auf. Das Gesundheitsministerium verfügte einen Cordon sanitaire um die betroffene Zone, beugt mit Sprühaktionen und der Ausgabe von Malaria- pillen in den umliegenden Gemeinden vor und rief die Bevölkerung von Achuapa auf, nur in Notfällen zu verreisen. Der Exodus hat aber natürlich längst eingesetzt, und das Krankenhaus von Leon, der nächst gelegenen Stadt, ist mit Fieberkranken belegt. Selbst im 250 km entfernten Juigalpa wurde bereits ein Fall gemeldet, der an das Achuapa-Fieber erinnert. Die Bewohner der verarmten Gegend sind traditionell darauf angewiesen, anderswo Arbeit zu suchen.

Präsidentin Violeta Chamorro hat einen Krisenstab einberufen, der sich im Ausland um zusätzliche Mittel für die Seuchenbekämpfung umschauen soll, denn das Budget des Gesundheitsministeriums ist schon für die Normalsituation unzureichend. Experten aus allen Teilen des Kontinents, die das Virus demaskieren wollen, werden sich hier in den nächsten Tagen die Hand geben. Als erster traf Francisco Pinheiro, der qualifizierteste Virologe der Panamerikanischen Gesundheitsorganisation ein. Am Wochenende gab es sogar ein kubanisch-US-amerikanisches Treffen auf nicaraguanischem Boden, als zwei Seuchenexperten aus Havanna und ein Spezialist aus Atlanta einflogen.

Die geheimnisvolle Seuche legt den katastrophalen sanitären Zustand der zentralamerikanischen Republiken offen, wo mit dem Fortschreiten der neoliberalen Anpassungspolitik immer mehr Opfer auf der Strecke bleiben. Mangelnde Prävention und das Schließen von dezentralen Gesundheitseinrichtungen erleichtern das Umsichgreifen von Epidemien.

Allein in diesem Jahr wurden in Zentralamerika 40.000 Fälle von Dengue-Erkrankungen registriert, weitere 30.000 Menschen laborieren an Malaria, und etwa ebenso viele erkrankten an Cholera. Über 250 sind daran gestorben, mehr als die Hälfte allein in Nicaragua. Ralf Leonhard