Tagebuch einer Umweltkatastrophe

Die dänische EU-Kommissarin Ritt Bjerregaard hat durch ihre Profilierungssucht und Extravaganzen ihre Macht in Brüssel verspielt. Für die Umwelt, immerhin ihr Ressort, kann sie nicht mehr viel ausrichten  ■ Aus Brüssel Alois Berger

Der niederländische Europa- Abgeordnete Gijs de Vries war der erste, der am vergangenen Montag in Straßburg den Rücktritt der Umweltkommissarin forderte. Ritt Bjerregaard solle Schriftstellerin werden, schimpfte er, in Brüssel richte sie nur Schaden an. Am Dienstag kam die Diskussion dann auch in Brüssel in Schwung: Wie wird man eine Umweltkommissarin wieder los?

Denn für die Umwelt wird die 54jährige Sozialdemokratin in nächster Zeit nicht viel tun können. Sie hat ihre letzten Verbündeten verprellt und ihren inzwischen sehr zahlreichen Gegnern Munition geliefert. „Die Bjerregaard hat sich selbst demontiert“, meint ein hoher Kommissionsbeamter, der ihr wenig Chancen einräumt, im Kreis der Kommissare noch ernst genommen zu werden.

Seit einem dreiviertel Jahr ist die streitlustige Dänin Umweltkommissarin der EU und damit Mitglied im 20köpfigen Chefkollegium der europäischen Verwaltung. In dieser Zeit hat die Frau wenig Möglichkeiten ausgelassen, sich Feinde zu machen. In ihrem „Tagebuch einer Kommissarin“, das am Wochenende in die dänischen Buchhandlungen kommen sollte, hat sie nun endgültig zum Rundumschlag ausgeholt und sich dabei mit großem Schwung selbst k. o. geschlagen.

Dummerweise hat sie das Manuskript vorab an eine Reihe dänischer Zeitungen geschickt, die es gleich seitenweise abdruckten. Von Bundeskanzler Kohl ist da die Rede, der bei Gesprächen abwesend sei und nicht mitbekäme, wen er überhaupt vor sich hat. Über den spanischen Premier Felipe Gonzalez erzählt sie, daß er ein schlapper Mann sei, ohne Energie und politischen Willen. Den habe der französische Präsident Chirac, der in seiner Selbstherrlichkeit mit dem armen Kommissionspräsidenten Santer gleichgültig und schlampig umspringe.

Seit der Veröffentlichung ihrer fröhlichen Anekdoten geht es Frau Bjerregaard gar nicht mehr gut. Sie habe die Wirkung unterschätzt, räumte sie zerknirscht ein und ordnete an, die Bücher einzustampfen. Bedauerlicherweise, nicht so sehr, weil die gesamte Hautevolee der europäischen Politbühne ihr Fett abbekommt, sondern weil das Tagebuch einen Einblick in die Psyche der Politikerin gibt, die es immerhin bis zur Umweltkommissarin gebracht hat.

Für Ritt Bjerregaard teilt sich die Welt in Freunde und Feinde. Wer nicht für mich ist, ist gegen mich. Wenn sie mit großer Hartnäckigkeit für etwas eintritt, hat sie stets das Publikum im Auge, die Sache selbst ist ihr meistens ziemlich egal, sagen Leute, die sie kennen. Sie liebe den Konflikt, um sich zu profilieren.

Kein Interesse für die Details ihrer Aufgabe

Seit sie mit 30 Jahren ins dänische Parlament gewählt wurde, hat Ritt Bjerregaard gelernt, daß selbst handfeste Skandale nicht das Ende der Karriere sein müssen. Als Bildungsministerin wurde sie geschaßt, weil sie auf Dienstreise in Paris im Ritz logierte und ihren Spesenetat gewaltig überzog. Als Fraktionschefin der Sozialdemokraten mußte sie gehen, weil sie trotz ihres fürstlichen Einkommens zwei Sozialwohnungen belegte. Sie wurde wieder Ministerin, insgesamt dreimal, und wieder Fraktionschefin.

Durch ihre unkomplizierten Umgangsformen und ihr forsches Auftreten hat sie es immer wieder geschafft, Parteivolk und Wähler auf ihre Seite zu bringen. Als sie sich 1992 an die Spitze der dänischen Europa-Bewegung stellte, war ihre Partei alles andere als begeistert. Die Sozialdemokraten hatten sich gerade mehrheitlich gegen Maastricht eingeschworen. Ritt Bjerregaard brachte sie auf Europa-Kurs.

Daß sie vor einem Jahr von der Regierung nach Brüssel geschickt wurde, hielten viele in Dänemark für einen Coup des Premierministers Poul Nyrup Rasmussen, der sie auf diese Weise als Rivalin loswurde. Bjerregaard hat dankbar angenommen und die europäische Bühne seither benutzt, um ihre Popularität in Dänemark zu mehren. Sie machte keinen Hehl daraus, daß Brüssel für sie nur eine Stufe auf der Karriereleiter sein wird.

Schon bei ihrem ersten Auftritt vor dem Europäischen Parlament, als sie ihre künftige Politik als Umweltkommissarin vorstellen sollte, zeigte sie, wie wenig sie die Details ihrer Aufgabe interessierten. Mit Entsetzen registrierten die Abgeordneten, daß sich Ritt Bjerregaard nicht eine Minute auf ihren neuen Job vorbereitet hatte und sich danach auch noch lustig machte: Das sei doch ohnehin „kein richtiges Parlament“. Erfahrene Zyniker vermuteten damals, daß ihr der Satz nicht einfach herausgerutscht, sondern wohlkalkuliert war. Ihre dänischen Wähler sollten sehen, daß Ritt Bjerregaard auch vor einem Europäischen Parlament ungeschminkt ihre Meinung sagt. Dänische Zeitungen schrieben, daß Europa eben lernen müsse, mit der dänischen Mentalität zurechtzukommen, die geradeheraus sei und keine Rücksichten auf diplomatische Gebräuche nehme.

Ausgerechnet an dem Tag, als sie ihr Dossier über Klimaschutz vor dem Europäischen Parlament verteidigen sollte, verabschiedete sich Ritt Bjerregaard in einen dreitägigen Skiurlaub; weniger bedeutende Kommissionsbeamte werden aus dem Urlaub zurückbeordert, wenn die von ihnen ausgearbeitete Vorlage debattiert werden soll. Ritt Bjerregaard pochte auf ihren Freizeitanspruch.

Es wäre trotzdem ungerecht zu behaupten, daß sich Ritt Bjerregaard in den letzten Monaten überhaupt nicht um ihren Job gekümmert hätte. Sie hat zum Beispiel maßgeblich zum Exportverbot für gefährliche Güter beigetragen, wie ihr selbst Kritiker bescheinigen. Gegen starke Widerstände in der Kommission und in den Mitgliedsregierungen hat sie in der EU die Unterzeichnung der Basler Konvention durchgefochten.

„Wenn es um große Themen geht“, bestätigen ihre Mitarbeiter, „dann ist Ritt Bjerregaard stark.“ Da fühle sie sich in ihrem Element, weil sie in der Öffentlichkeit auftreten kann. Sie hat sich in die Kampagne gegen die Versenkung der Ölplattform Brent Spar eingeklinkt und den Widerstand gegen die französischen Atomtests zum wichtigsten Umweltproblem des Jahres erklärt. Die Tagesgeschäfte blieben dabei auf der Strecke. „Frau Bjerregaard mag die großen Auseinandersetzungen“, faßt ein Kommissionsbeamter zusammen, „den kleinen, alltäglichen Konflikten geht sie aus dem Weg.“ Viele in ihrer Abteilung sind enttäuscht von der laschen Haltung der Umweltkommissarin gegenüber Verletzungen des europäischen Umweltrechtes. Selbst unter ihrem Vorgänger, dem Griechen Ioannis Paleokrassas, der Umweltschutz für einen Spleen der Deutschen und Dänen hielt, hätten sie mehr Verfahren gegen Verstöße in den Mitgliedsländern durchbekommen als unter der Dänin.

Rücktritt nur durch öffentlichen Druck

In den letzten zwei Monaten hat sich ihr gesamtes Kabinett um kaum etwas anderes gekümmert als um die französischen Atomversuche. Obwohl ihre Mitarbeiter immer wieder versucht haben, ihr die begrenzten Möglichkeiten aus dem Euratomvertrag zu erläutern, erweckte sie in der Öffentlichkeit den Eindruck, als ob sie die Tests im Alleingang stoppen könnte. „Wir hätten Paris höchstens zu besseren Schutzmaßnahmen zwingen können“, räumt ein Kommissionsbeamter ein, „oder vielleicht wegen der mangelhaften Informationspolitik verklagen.“

Doch Bjerregaard wollte mehr – und brach auf der ganzen Linie ein. Nicht nur ihre Abneigung gegen juristische Details, auch ihr Selbstdarstellungstrieb hat die Niederlage provoziert. Denn unmittelbar vor der entscheidenden Kommissionssitzung tauchten in Straßburg die Vorabdrucke ihrer Tagebücher auf. Kommissionspräsident Santer zitierte sie zum Rapport, und es gibt wenig Zweifel, daß er ihr für die nächste Zeit strikte Ruhe verordnet hat. Wenige Stunden später saß Bjerregaard mit versteinertem Gesicht daneben, als Santer vor dem Europäischen Parlament der französischen Regierung die Absolution erteilte. „Sie hat ihre Möglichkeiten verspielt“, kommentierte der dänische Außenminister Petersen, „als Umweltkommissarin noch etwas zu erreichen.“

In kleinen Gruppen diskutierten die Parlamentarier danach, wie man Ritt Bjerregaard wieder loswerden kann. Sie können nur die gesamte Kommission abwählen, nicht einzelne Mitglieder. Selbst die dänische Regierung oder der Ministerrat haben keine Möglichkeit. Einmal ernannt, ist ein EU- Kommissar niemandem mehr verantwortlich. Nur der Druck der Öffentlichkeit kann Ritt Bjerregaard zum Rücktritt zwingen.