Hat der Computer ein Geschlecht?

■ Im neuen "Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung" an der TU sollen die Naturwissenschaften unter die feministische Lupe genommen werden. "Aufbau in Zeiten des Abbaus"

Was ist Natur, was ist Kultur in der Polarität der Geschlechter? Wie werden die Frauen im wissenschaftlichen Diskurs unsichtbar gemacht? Inwieweit ist Wissenschaftsgeschichte Geschlechtergeschichte? Mit solchen Fragen beschäftigt sich das „Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung“, das im März am Fachbereich Kommunikations- und Geschichtswissenschaften der Technischen Universität gegründet wurde. Wiewohl räumlich und inhaltlich noch ein Provisorium, bietet es den Studierenden beiderlei Geschlechts im Wintersemester eine Reihe spannender Lehrveranstaltungen an.

Daß nach der FU und der Humboldt-Universität nun auch die TU Frauen- und Geschlechterforschung betreiben will, wäre der Lobeshymne nicht wert, wenn da nicht einige Besonderheiten wären. Bundesweit einmalig ist erstens, daß die leitenden Herren der TU Geld für eine C4-Professur lockermachten. Auf den neuen Lehrstuhl wurde die Professorin Karin Hausen berufen, eine renommierte Historikerin und ausgewiesene Geschlechterforscherin. Zweitens hat die engagierte Frauschaft des Zentrums die Gleichrangigkeit von Forschung und Lehre zum Prinzip erkoren, was das Zentrum von ähnlichen, aber mehr der Forschung verpflichteten Einrichtungen abhebt. Drittens ergeben sich aus der Ansiedlung an einer technischen Hochschule besondere Fragestellungen in Richtung Naturwissenschaft und Technik: Ist die Sprache der Naturwissenschaften eine männliche? Oder ist es etwa Zufall, daß männliche Forscher seit 400 Jahren vom „Eindringen in die Geheimnisse der Natur“ phantasieren und Rüstungstechniker von den phallischen Formen ihrer Erzeugnisse schwärmen? Hat der Computer ein Geschlecht? Spiegelt sich in „dem Allgemeinen“ und „dem Besonderen“ als Ordnungsprinzipien der Informatik das Geschlechterverhältnis?

Letzteres ist Thema eines Seminars, das Karin Hausen zusammen mit dem Informatiker Dirk Siefkes anbietet. Das Vorhaben steht für das Bemühen Hausens und ihrer Mitstreiterinnen, so weit wie möglich in die TU hineinzuwirken und DozentInnen aller Disziplinen anzusprechen. Umgekehrt sollen auch die einsam in ihren Fachbereichen vor sich hinwerkelnden Frauen- und GeschlechterforscherInnen – leider immer noch fast ausschließlich Frauen – die Möglichkeit erhalten, in einem Colloquium ihre Forschungsergebnisse interdisziplinär zu diskutieren.

Weitere Themen im neuen Semester: Hausen versucht in ihrem Lektürekurs „Natur – Kultur – Geschlecht“ die komplizierten Verschränkungen von Biologie und Gesellschaft zu ergründen. Die Professorin nennt ein Beispiel: „Ist das schlechtere räumliche Orientierungsvermögen der Frauen allein durch ihre Gehirnstruktur zu erklären? Oder üben schon die kleinen Knaben und Mägdelein das Raumbesetzen in verschiedener Weise?“ Die Historikerin Karen Hagemann wird die „Geschlechterverhältnisse in der Zeit der revolutionären Umbrüche“ thematisieren, und die Germanistin Evelyn Annuß führt in die literaturwissenschaftliche Geschlechterforschung ein.

Eine Veranstaltung ganz eigener Art ist der Jour fixe jeden Mittwoch von 13 bis 15 Uhr im Café Campus in der Marchstraße 6–8, auf dem die freie Kommunikation zwischen Studierenden, Forschenden und Lehrenden gepflegt werden kann.

Das klingt alles ziemlich prima. Aber die Mitarbeiterinnen haben zwei große Probleme: Erstens sind sie in der TU nicht präsent, weil sie in provisorischen Räumen am Rohrdamm sitzen. Es wird wohl noch zwei Jahre dauern, bis das „Telefunkenhaus“ der TU am Ernst-Reuter-Platz fertig saniert ist und sie dort einziehen können. Zweitens ist schon jetzt absehbar, daß das Zentrum zu schmal ausgestattet ist, um das große Interesse der StudentInnen, DoktorandInnen und DozentInnen zu befriedigen. „Das ist ein Aufbau im Zeichen des allgemeinen Abbaus“, charakterisiert Karen Hagemann, deren Stelle schon im nächsten Jahr ausläuft, das Paradoxe der Situation. „Wir werden demnächst wohl um jede Briefmarke rangeln“, seufzt Karin Hausen. „Wir brauchen Sponsoren und eine Geschäftsführerin, die für Gelder und Kommunikation sorgt“, sinniert ihre Kollegin Hagemann. „Und vor allem brauchen wir die kritische Unterstützung der Frauenbewegung.“ Ute Scheub

Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung, Rohrdamm 20–22, 13629 Berlin, Tel. 38006-240