Schriften zu Zeitschriften
: Die Last der Dinge

■ Das Design-Fachblatt der ehemaligen DDR „form und zweck“ ist zurück

Die Zeitschrift form und zweck erwirbt man als Bausatz. Verschiedene Falzarbeiten sind zu erledigen, die Nietenhälften müssen aus den mitten durch die Seiten gebohrten Löchern hervorgeholt und schließlich mit dem Hammer an der linken Heftkante zusammengeschlagen werden.

Als Hausorgan des Zentralinstituts für Gestaltung war form und zweck das offizielle Design-Fachblatt der DDR. Nach der Wende rettete die Redakteurin Angelika Petruschat zusammen mit ihrem Mann die Zeitschrift – und behielt nicht viel mehr von ihr als den Namen. Anfangs wollte man sich als Forum für Ost-Designer etablieren. Doch die versprachen sich ihr Überleben gerade mit den Konzepten aus dem Westen.

Schon mit dem zweiten Heft richtete sich der Blick daher auf drängendere Fragen: Wie können wir aus dem gegenwärtigen Dilemma, dem ökologischen Notstand, der Krise der Städte herausfinden, und welchen Beitrag kann Gestaltung dabei leisten? „Durch neue Produkte“, so Petruschat, „werden diese Probleme nicht gelöst.“

form und zweck beschäftigt sich denn auch nicht in erster Linie mit Design, sondern leuchtet durch die Beschäftigung mit Stadtplanung, Soziologie, Ästhetik, Alltagskultur und Ökologie dessen Bedingungen, Konsequenzen und historischen Horizonte aus. Das Interesse für die Gegenstände erlischt nicht vor dem ersten Alltagseinsatz: Was passiert mit ihnen, wenn der Designer seine Arbeit getan hat? Wie werden sie von den Benutzern umfunktioniert, wie altern sie, wie ändern sie unser Leben?

Das Thema Reparatur, Schwerpunkt der aktuellen Ausgabe, drängt sich da geradezu auf. Doch hier wird nicht einmal mehr das Hohelied der Werterhaltung gesungen: „Schlimmer als die Ermordung der Dinge ist ihre Reparatur. Der Zynismus besteht darin, das, was nicht funktioniert wiederherzustellen. Reparieren verklemmt die Emanzipation von der Last der Dinge, vom Materialismus in der Welt“, heißt es im Editorial.

Die folgenden Beiträge packen das Thema weniger forsch, dafür aber unter umso originelleren Gesichtspunkten an. Verschlissene und wiederhergestellte Haushaltsgegenstände illustrieren die rührend dilettantischen Techniken der Kesselflicker und Flickschuster: zusammengenagelte Holzschaufeln, eine 80 Jahre lang getragene, immer wieder runderneuerte Arbeitsjacke, eine durch Draht zusammengehaltene gesprungene Tonschüssel. Sogar Glühbirnen wurden nach dem Krieg repariert. Immerhin ließ sich der Grad der Funktionstüchtigkeit sofort feststellen. Heute ist das anders: Wann ist ein Computer kaputt? Und wie heilt eigentlich der Disc Doctor in Sam's Virus Clinic, fragt ein Autor, ohne eine Antwort zu erhalten.

Reparieren, Rekonstruieren, Heilen – vom Ersetzen eines gebrochenen Stuhlbeins zum Ersetzen eines unbrauchbar gewordenen Arbeiterbeins ist es nur ein kleiner Schritt. Jules Amar, französischer Arbeitswissenschaftler, entwickelte nach dem Ersten Weltkrieg die Hardware, die es erlaubte, kriegsversehrte Arbeiter wieder flottzumachen.

Statt ihnen fleischfarbene Imitationen der verlorenen Körperteile umzuschnallen, schloß er sie als menschliche Industrieroboter und frühe Cyborgs direkt an die Maschinen an. Ebenfalls im neuen Heft: eine Kulturgeschichte des Zoos, ein Beitrag zur Eroberung der Küche durch das Gas und ein Text zur „Exposition internationale des arts décoratifs et industriels modernes“, die 1926 in Paris stattfand: dem Geburtsort des Art deco.

Bei aller inhaltlichen Qualität: form und zweck besticht vor allem durch seine Aufmachung. Oft muß man das Heft um 90 Grad drehen, Spalten mäandern über die Seiten, Farbe dient zur Orientierung wie zur Verwirrung, Wörter lösen sich in riesig vergrößerte Einzelpixel auf oder verschwimmen mit zwei Millimeter großen Buchstaben vor den erschöpften Augen.

Die Mühe, die sie dem Leser abverlangt, entlohnt Daniela Haufe vom Berliner Graphikbüro cyan durch wunderbare Illustrationen und prachtvolle Farben. Da laufen Einzelbilder eines Films durch das ganze Heft, da schimmert silberne Art-Deco-Ornamentik. Über- und ineinander montierte Fotos verschwimmen im Farbnebel bis zur Unkenntlichkeit. Eine Art Dekonstruktivismus in der Zeitschriftengestaltung: Die hierarchischen Ordnungsprinzipien von Überschrift und Text, Text und Fußnote, Bild und Bildunterschrift sind aufgehoben. Der Absatz als Markierung von Sinneinheiten ist abgeschafft. form und zweck hat sich entschlossen, den Leser nicht mit immer noch weiter aufgerissenem Maul anzuspringen, sondern sich ihm bis zuletzt zu entziehen.

Eine Zeitschrift, die man nicht lesen kann, mit Fotos, die man nicht erkennt – wie verträgt sich das mit dem Bekenntnis der Herausgeber zur Funktionalität, Einfachheit und gestalterischen Strenge, für die Bauhaus und Ulmer Schule einstanden? „Natürlich sehen wir diesen Widerspruch“, meint Petruschat. Doch die Ulmer Konzepte, mittlerweile Mainstream, haben ihrer Meinung nach zu einer Uniformität geführt, gegen die man angehen will, versuchsweise: „Ein neues Rezept haben wir auch nicht.“

Ein Ziel ist die Unterstreichung der Materialität der Zeitschrift. Statt wie viele kopfüber in der Virtualität zu verschwinden pocht form und zweck mit seinen Wachspapierumschlägen, seinem Spinnenpapier zwischen den Kapiteln, seiner Fadenheftung und seinen Lesebändchen auf die Zeitschrift als exemplarischen Gegenstand: Seht her, Leser, so aufwendig sollten die Dinge gemacht sein! Jörg Häntzschel

„form und zweck. Zeitschrift für Gestaltung“. Dorotheenstr. 4, 12557 Berlin, 50 DM.