Mit Kind auf der Schulbank

■ Mütter, die selbst noch halbe Kinder sind, können an der Mütterschule in Lichterfelde ihren Schulabschluß nachholen. Schule und Kita sind unter einem Dach

Es ist kurz vor acht Uhr. Sophie bringt ihren zweijährigen Sohn Nico in den Kindergarten. Während Sophie zwei Stockwerke höher über englischen Vokabeln, mathemathischen und physikalischen Formeln brütet, amüsiert sich Nico mit den anderen Kids in der Kita.

Seit ersten September geht die 16jährige Sophie wieder zur Schule. Von über 80 Bewerberinnen hat sie einen der 16 begehrten Plätze an der Mütterschule in der Lichterfelder Goethestraße 4-6 ergattert – dem einzigen Ort in Berlin, an dem junge Mütter den erweiterten Hauptschulabschluß nachholen können und zugleich ihre Kinder in der hauseigenen Kita betreut wissen.

Auch Bianka ist erst 16 Jahre alt. Jahrelang lebte sie in verschiedenen Heimen. Häufiges Schuleschwänzen und die Schwangerschaft ließen sie die Schule abbrechen. Jetzt wagt sie es noch einmal: „Ich könnte mir aber nicht mehr vorstellen“, sagt Binaka, „in eine normale Schule zu gehen.“

Nach Angaben von Cornelia Scheid-Edmunds, der Leiterin der Mütterschule mit dem offiziellen Namen „Mütter lernen“ (Müle), gibt es in Berlin derzeit mehr als 10.000 Mädchen, die während ihrer Schulzeit schwanger werden und nach der Geburt ihres Kindes die Schule abbrechen. Für viele beginnt damit ein Teufelskreis: Ohne Schulabschluß gibt es keine Ausbildung und keinen Arbeitsplatz, viele junge Mütter bekommen für ihre Kinder keinen Kitaplatz, können nicht jobben, werden von der Sozialhilfe abhängig.

Entsprechend groß ist der Andrang an der nun bereits seit sieben Jahren bestehenden Mütterschule. „Die Auswahl ist das Schwierigste, wir haben jedes Jahr sehr viel mehr Bewerberinnen, als wir aufnehmen können“, bedauert Schulleiterin Scheid-Emunds. Wer allerdings die Hürde des Aufnahmeverfahrens genommen hat, habe mit „fast hundertprozentiger Sicherheit“ am Ende des einjährigen Lehrgangs den erweiterten Hauptschulabschluß in der Tasche.

Doch an das Ticket zur „Karriere“ sind Bedingungen geknüpft. Die Kinder müssen mindestens ein Jahr alt sein, und die Mütter müssen sich sicher sein, daß sie sich auf einen Schulalltag ohne Kind einlassen können. „Das Wichtigste ist die Motivation“, betont Cornelia Scheid-Emunds. Es bringe überhaupt nichts, wenn die Frauen nach vier, fünf oder mehr Wochen merken, daß sie das Tempo und das Pensum nicht schaffen und sich den nächsten Mißerfolg oder Frust einhandeln.

Während des einjährigen Lehrgangs bekommen die Frauen vom Arbeitsamt Berufsausbildungsbeihilfe. Vom Team der Mütterschule werden sie auf jede nur erdenkliche Weise unterstützt – von sozialpädagogischer Hilfe bis zu psychologischer und familientherapeutischer Beratung und praktischer Lebenshilfe ist alles im Unterricht inbegriffen. „Wir versuchen, den Müttern jeden Stein aus dem Weg zu räumen“, erklärt Cornelia Scheid-Emunds das Konzept.

Finanziert wird das Projekt „Mütter lernen“ von verschiedenen Stellen. Die Lehrerinnen-Stellen und die Sachkosten wie Papier oder Kopien bezahlt das Arbeitsamt. Die Stellen der Erzieherinnen werden von der Senatsverwaltung für Frauen und Arbeit finanziert. Die Miete schließlich übernimmt der Träger des Projektes, das evangelische Jugend- und Fürsorgewerk (EJF). Michaela Eck