Abschied von falschen Helden

Das Image vom männlichen „Krieger“ hat mit der Realität bei Greenpeace, der weltweit größten Umweltorganisation, immer weniger zu tun  ■ Von Ulrike Helwerth

Wenn Claudia Sieg in Pumps und Kostüm, den Aktenkoffer in der Hand, in Brüssel oder Bonn ihren Geschäften nachgeht, dann kommt sie dem Klischee eines „Regenbogenkriegers“ so nahe wie eine Bluse von Betty Barclay einem kanadischen Holzfällerhemd. Dennoch bekleidet die 37jährige Politikwissenschaftlerin eine wichtige Funktion: Sie ist Lobbyistin für Greenpeace Deutschland.

Gegründet wurde der Verein 1980. Darin spielte die Soziologin Monika Griefahn, heute Umweltministerin in Niedersachsen, eine Hauptrolle. Sie war die erste Greenpeace-Geschäftsführerin und bei den frühen aufsehenerregenden Aktionen in der BRD mit von der Partie. Klein fing Greenpeace Deutschland damals an, basisdemokratisch und ein bißchen chaotisch. Inzwischen zählt die Sektion gut eine halbe Million Fördermitglieder, über 65 Millionen Mark Spendeneinnahmen (1994) und verfügt über einen funktionstüchtigen, hierarchisch aufgebauten Apparat. Die Zentrale residiert in Hamburg, in einer ehemaligen Seemannsunterkunft direkt an der Elbe. 112 Menschen arbeiten dort derzeit als Festangestellte. Fast zwei Drittel davon sind Frauen. Auch die rund 2.000 ehrenamtlichen AktivistInnen sind etwa zur Hälfte weiblich.

Dennoch hat die Umweltorganisation ein durch und durch männliches Image. 1994 ergaben Umfragen in der Bundesrepublik: Der typische Greenpeacer ist Mitte Dreißig, sportlich, ein Abenteurer – und natürlich ein Mann. Woher rührt das? „Das flotte Schlauchboot, das sich zwischen Wal und Harpune stellt, oder der Kletterer auf dem hohen Schornstein, das sind klassische Bilder von Helden und Abenteurern. Man sieht ja gar nicht, ob da oben eine Frau oder ein Mann hängt.“ Brigitte Behrens vermutet die Ursachen vor allem in traditionellen Wahrnehmungsmustern. Die 44jährige Sozialwissenschaftlerin ist seit fast zehn Jahren Assistentin der Geschäftsführung. Zur Zeit leitet sie zusammen mit einer Kollegin kommissarisch den Betrieb. Außerdem vertritt sie die deutsche Sektion als „Trustee“ in der Generalversammlung von Greenpeace International. In diesem 32köpfigen Gremium sitzen 16 Frauen. Dort werden Jahresprogramme, der Finanzplan und die Generallinie beschlossen und der internationale Vorstand gewählt: derzeit vier Männer und drei Frauen. Vorsitzende ist die Deutsche Uta Bellion.

„Manchmal stört es mich“, sagt die Lobbyistin und frühere Pressesprecherin, Claudia Sieg, „daß immer von den jungen Helden gesprochen wird, obwohl von Frauen sehr viel Input kommt.“ Zum falschen Heldenbild aber tragen nicht nur die Medien, sondern auch die interne geschlechtsspezifische Arbeitsteilung bei. Bei Greenpeace Deutschland dominieren Frauen zwar zahlenmäßig und das nicht nur als Sachbearbeiterinnen. Sie sind auch auf oberen Posten stark vertreten. So machen sie in der Bereichsleitung, der zweithöchsten Hierarchieebene, immerhin 42 Prozent aus. Hingegen gibt es auffällig wenige im Bereich der „Campaigner“. Diese Spezialisten aber erarbeiten, betreuen und machen die Kampagnen, die in die berühmten „sexy actions“ münden und das Bild von Greenpeace prägen. Sie repräsentieren den Verein nach außen, sie agieren an „vorderster Front“, das heißt vor den Kameras und Mikrophonen.

Bei Greenpeace Deutschland sind unter 24 Campaignern im Augenblick nur fünf Frauen. Eine von ihnen ist die 30jährige „Aktionistin“ Maike Hülsmann. Die gelernte Umweltschutztechnikerin ist seit zwei Jahren hauptamtlich dabei. Ihre Aufgabe ist es, Kampagnen in publicityträchtige Aktionen umzusetzen. Oft sitzt sie Tage am Telefon und organisiert. Dann wieder fliegt sie zu Aktionen in die Welt. Bei Brent Spar koordinierte sie von der „Alstair“ aus die Versorgung und Materialbereitstellung für die Bohrinsel. Bei Maike Hülsmann überwiegt das Gefühl: „Ich möchte eigentlich nichts anderes mehr machen im Leben. Ich brauche eine Arbeit, in der ich mich voll engagieren kann.“ Auffällig ist nicht nur bei ihr die völlige Identifikation mit Greenpeace. Auch wenn, oder gerade weil der Verein sie phasenweise Tag und Nacht in Anspruch nimmt und ein Leben außerhalb kaum zuläßt.

Nicht nur an diesem Punkt entzündet sich die Kritik von „Mafalda“, der Greenpeace-Frauengruppe. Die hohen zeitlichen Anforderungen, wie Rund-um-die- Uhr-Einsatzbereitschaft, aber auch das am Mann orientierte Qualifikationsprofil schrecke viele Frauen von bestimmten Positionen ab, bemängeln Kirsten Hagemann (31) und Traute Bickel (29) von der Frauengruppe in Hamburg. „Männliche“ Eigenschaften wie Belastbarkeit, Lust auf Konfrontation, Einzelkämpfertum würden betont, „weibliche“ oder „soft qualities“ wie Teamgeist und Kompromißfähigkeit eher kleingeschrieben. In einem internen Papier ruft Mafalda zur Abbkehr vom falschen „Helden-Image“ und zu einen neuen Führungsstil „nach weiblichem Prinzip“ auf. Sie fordert gezielte Fördung von Frauen in männerlastigen Bereichen, „Head-hunting“ nach Frauen, flexible Arbeits- und Teilzeitmodelle, nicht nur für Mütter (und Väter).

Bei der Geschäftsführerin Brigitte Behrens rennt Mafalda damit halboffene Türen ein. Die Chefin kommt selbst aus der Frauenbewegung. Eine „bürokratische“ Frauenförderung à la Quote hält sie jedoch für „völligen Quatsch“. Stellenausschreibungen hin, Head- hunting her – oft wollten sie nicht oder trauten sich nicht. Da sei einfach die Sozialisation vor: „Während Männer eher dazu neigen, ganz automatisch die Karriereleiter nach oben zu gehen, überlegen Frauen sorgfältiger, ob sie eine neue Aufgabe übernehmen wollen oder nicht“, sagt Brigitte Behrens. Letztlich entscheide auch bei Greenpeace, nach harten Bewerbungsgesprächen, die vermutete Qualifikation. Ein „ausgewogenes“ Geschlechterverhältnis sei dabei „zweitrangig“. Persönlich hat Brigitte Behrens für sich die Karrierefrage geklärt. Den vakanten Posten des Hauptgeschäftsführers will sie nicht. Sie will ein bestimmtes „Zeitbudget“ für sich freihalten. Job-sharing hält sie auf diesem Posten für nicht praktikabel. Für Claudia Sieg hingegen ist das eine „reine Organisationssache, über die man stärker nachdenken sollte“.

„Frauen zweifeln viel mehr an sich selbst, und das ist vielleicht ein Grund, warum sie manchmal nicht so selbstbewußt rüberkommen, obwohl sie sehr gut sind“, weiß sie. Die Arbeit bei Greenpeace habe sie selbstsicherer gemacht, aber auch „viel härter gegen mich und gegenüber anderen, was nicht unbedingt nur positiv ist“.

Greenpeace aber lebt von seinem oft knallharten Aktionismus. Auch intern sind Aktionisten daher häufig höher angesehen als „Sesselpupser“. „Ich persönlich nehme das nicht so ernst“, sagt Claudia Sieg. Dennoch sprang die passionierte Seglerin vor Freude in die Luft, als sie im Juli das Angebot bekam, das Presse-Team auf der Rainbow Warrior vor Moruroa zu verstärken. Sie steckte mitten in Verhandlungen in Straßburg und hatte zehn Minuten Bedenkzeit. Natürlich nahm sie „die Auszeichnung“ an. Zwei Tage später war sie auf dem Schiff, drei Wochen später mit den „Killergesichtern“ der französischen Fremdenlegionäre konfrontiert.

Aber die Lust auf Abenteuer und Aktion reizt sie wie die meisten GreenpeacerInnen auch: „Natürlich ist das ein Kitzel, wenn man mal zeitweise Kostümchen, Pumps und Paragraphen mit Schlauchboot und Schwimmweste vertauschen kann.“