Tango für Lorca und Atahualpa

Selbsthilfe mit Freunden: Die lateinamerikanische Theatergruppe Taller Teatral versucht mit einem Varieté-Programm Geld für die nächste große Produktion zusammenzubekommen  ■ Von Anne Winter

Der Schauspieler hockt auf der Treppe, kneift wie ein kleines Mädchen die Knie zusammen, macht rührende Kulleraugen und singt mit schmachtender Stimme vom Johnny, der Geburtstag hat. Kaum ist das Lied beendet, springt er auf, schlüpft aus der Haut des schüchternen Teenagers in die Rolle der lasziven Verführerin und wiederholt sein Ständchen. Augenblicke später – der Johnny hat schon wieder Geburtstag – wird die Femme fatale zur verbitterten Zicke, die den Lover anherrscht, statt ihm zu schmeicheln.

Miguel Levin probt seinen Auftritt für das neue Programm des Taller Teatral. Drei Abende lang wird die spanischsprachige „Theaterwerkstatt“ ihr „Varieté Latino“ präsentieren. Das lateinamerikanische Varieté ist nicht etwa ein neues Stück, sondern eine Folge von Theaterszenen, Tangoliedern, Tanz und indianischer Folklore, für jeden Abend neu zusammengestellte Kostproben aus dem Repertoire der Gruppe und befreundeter KünstlerInnen.

Eine Benefizveranstaltung als Hilfe zur Selbsthilfe: Mit dem Erlös will El Taller seine nächsten Produktionen finanzieren, eine Hommage an Garcia Lorca und ein Stück über den Inka-König Atahualpa. Das leidige Thema Geld ist, wie bei den meisten freien Gruppen, auch für die LateinamerikanerInnen ein ständiges Problem. Zwar ist für die beiden Stücke Projektförderung beim Senat beantragt, aber ein positiver Bescheid liegt noch nicht vor. Notfalls muß es auch ohne Senatsgelder gehen. Denn darüber sind sich die Mitglieder der Gruppe einig: „Die Arbeit des Taller Teatral ist das, was wir eigentlich machen wollen, mindestens eine Produktion im Jahr wollen wir auf die Beine stellen – auch wenn wir am Ende leer ausgehen.“ Das Geld wird woanders verdient. Die meisten haben noch andere Theaterengagements, manchmal müssen sie sich aber auch mit Putzjobs über Wasser halten. Aber irgendwann, so hofft der chilenische Kostümbildner Pedro Rubio, „wird der Taller Teatral unsere Hauptarbeit sein“. Daran arbeiten die Theaterprofis, die den festen Kern der Gruppe bilden, schon seit fast sieben Jahren. Gegründet wurde El Taller Teatral Anfang 1989 von dem argentinischen Schauspieler und Tangosänger Miguel Levin, dem kolumbianischen Tänzer Jaime Micán und Pedro Rubio, der sein Theaterdesignstudium in Chile absolvierte.

Zunächst beschäftigte sich die Gruppe vorrangig mit lateinamerikanischen Texten. Inzwischen hat sie ihr Repertoire auf europäische AutorInnen ausgedehnt. Zuletzt trat sie 1993 mit „Zärte“, einem Stück des katalanischen Dramatikers Sergi Belbel, auf. Ähnlich verhält es sich mit der wechselnden Besetzung des Ensembles. Erst beteiligten sich ausschließlich LateinamerikanerInnen, mittlerweile spielen auch EuropäerInnen mit – gelegentlich spricht man deutsch.

Zwar richtet sich Taller Teatral vorwiegend an ein spanischsprachiges Publikum, durch nonverbale Kommunikationsformen wie Pantomime, Tanz, Musik und bildnerische Elemente sollen aber auch andere ZuschauerInnen angesprochen werden.

Ihre Inszenierungen sollen ein echtes Lateinamerikabild vermitteln, so, wie sie es selbst sehen und erfahren haben, nicht das exotische Lateinamerika, das durch deutsche Köpfe geistert. „Als Exoten werden wir ohnehin oft betrachtet“, sagt Jaime Micán. Für ihn sei die Arbeit aber auch ein künstlerischer Dialog, in dem die Gruppe europäische Stoffe auf ihre Weise interpretieren könne.

Eigene Probleme, die mit dem MigrantInnenstatus der SchauspielerInnen zu tun haben, fließen zwar auch ein, ein Betroffenheitstheater lehnen sie aber ab. „Selbst ernste Themen können doch mit Humor behandelt werden“, betont Pedro Rubio – „eben als Spiel.“

Die gemeinsame Arbeit ersetzt allen auch ein Stückchen Heimat. So ist es etwa für Darinka Ezeta besonders wichtig, „daß wir immer wieder zusammenkommen“. Durch das gemeinsame Theater könnten die über Berlin verstreuten Latinos den Kontakt zueinander aufrechterhalten. Von Freunden, die zusammenhalten, ist in dem Gespräch öfters die Rede.

Und daß so viele Künstler sich bereit erklärt haben, die Benefizveranstaltung mit ihrem Auftritt zu unterstützen, spricht für sich. Das Varieté, zu dem jeder etwas beisteuert, könnte bei Erfolg zu einer regelmäßigen Einrichtung werden, meint Miguel Levin. Ein Varieté Latino, als Werkstatt für lateinamerikanische KünstlerInnen in Berlin oder, wie Darinka es ausdrückt, als „Varieté Familiar“.

„Varieté Latino“, 3.–5.11., 20.30 Uhr, Studiobühne Berlin, Reinickendorfer Straße 55, Wedding