Heldin: Die Cousine von Fritz und Willi Von Claudia Kohlhase

Die Cousine von Fritz und Willi versteht einen sofort, eben weil sie bei Fritz und Willi arbeitet. Wer bei Fritz und Willi arbeitet, muß ja ein großes Herz haben. Und das hat sie auch, denn so eine Bauernwirtschaft ohne Frau, meine Güte, das kann doch niemand mitansehen. Trotzdem sind Fritz und Willi rechtschaffen und sauber, womöglich ihr Verdienst, auch Willi mit seinen 89. Fritz mit seinen 37 kann ja, Gott sei Dank, schon ganz gut für sich selber sorgen.

Aber sogar bei Fritz und Willi kann man nie wissen, Willi war früher schließlich ein flotter Knochen und beschreibt bei Damenbesuch gerne listig den korrekten Reitersitz, also wo genau die Beckenschale zu sitzen hat oder so ähnlich, weil Willi bei der Kavallerie war, als er noch zwei Beine hatte. Das heißt, geritten ist Willi später dann auch noch, sogar mit dem einen Bein. Aber eines Tages ist er mit der Prothese runtergefallen, ab da hat Willi auch nicht mehr geturnt, obwohl er früher ein ziemlich toller Turner gewesen sein muß, jedenfalls, was er erzählt, mit Überschlag und Prothese auf dem Reck und so weiter.

Wenn Willi so erzählt, zwischen den Sesselohren heraus, dann sitzt die Cousine aufmerksam auf dem kleinen Polsterstuhl, obwohl sie schon alles kennt. Höchstens, daß sie aus den Augenwinkeln heraus der Besucherin zunickt, wie sie versucht, ihren Kuchen zu essen, obwohl Willi ununterbrochen Turngeräte aufzählt, über die er grätschte, allerdings noch vor der Prothese. Der Kuchen von heute ist komischerweise kein Pflaumenkuchen, sondern Kirschsahne, wobei man die Kirschen von Heinzi seinem Kirschbaum kaum noch erkennen kann. Trotzdem ist er gut, und die Sahne so steif wie sonst nirgends.

Mit Recht ist Fritz stolz auf so eine Cousine, die ja die Nichte von Willi ist. Heute ist sie sogar da, obwohl Fritz auch da ist und nicht wie letzte Woche in Nizza. Nicht, daß Fritz dauernd in Nizza wäre, aber wenn Fritz Bus fährt zum Vergnügen und als Ausgleich, kann es durchaus der Bus nach Nizza sein. Das sitzt Fritz übrigens auf einer Backe ab, diese enorme Strecke, außerdem kann man sich in Nizza ja am Strand erholen, auch wenn es nur vier Stunden sind, bevor es wieder zurück geht auf die Endmoräne hoch oben im deutschen Norden, wo solange die Cousine alles versieht.

Die Cousine ist heute wegen des Kegelclubs aus Habenhausen da, der aber längst das kleine Nebensälchen verlassen hat. Das ist auf einmal ein merkwürdiger Zeitpunkt, wo in der alten Gastwirtschaft hinten auf der Endmoräne eine vollkommene Stille eintritt; eine Stille, die nicht geplant ist. Wieso ist es auf einmal so still, fragt man sich heimlich und leise, aber eigentlich ist es gar nicht still. Es ist nur so, daß die Cousine auf einmal dasitzt und aus dem Fenster sieht, als wenn dort draußen etwas wäre. Vielleicht ist es das ja auch. Sie kann eigentlich nur auf den Wald schauen, und daneben noch ein Stück auf die Wiese und die Kühe, die in einiger Entfernung vorbeiziehen. Aber sie sitzt auch nur eine kurze Weile so, als hätte sie alles vergessen, sogar Fritz und Willi, die eines Tages ohne sie auskommen müssen, schließlich ist sie nicht mehr die Jüngste und die Augen sind jetzt auch manchmal entzündet. Danach steht sie auf und sieht nach dem Hund, obwohl das nicht ihre Aufgabe ist.