Urbi et Orbi

■ Michael Jackson ließ sich erstmals im europäischen Fernsehen nieder, nicht aber auf der "Wetten, daß ...?!"-Couch

Hätte man das schon vorher wissen können? Daß die altbewährte Samstagshow „Wetten, daß ...?!“ gesprengt würde, wenn ER sich in ihr niederläßt? Daß Thomas Gottschalk sich gegen IHN wie ein Teenie ausnimmt, der endlich mal SEINE heilige Hand berühren darf? Ach, was weiß der liebe Gott schon von unseren Sitten und Gebräuchen, jenen des TV-Busineß sonnabends nach der „Tagesschau“ zumal! Nichts weiß er.

Die Sache war verzwickt. Vor zwei Wochen ließ das ZDF bekanntgeben, daß es für „Wetten, daß...?!“ Michael Jackson gewinnen konnte. Der Einsatz war hoch. Schließlich gehört zu den heiligen Gesetzen des Samstagabendgeschäfts, daß prinzipiell die ganze Familie bedient werden muß. Und Michael Jackson, soviel wußte man aus den USA, war keineswegs unumstritten, von wegen kleinen Jungs an den Piephahn gehen und so. Aber vielleicht war dieser Hautgout ja in Deutschland nicht richtig zur Entfaltung gekommen. Sicher ist allerdings, daß Jackos neuestes Tonträgerprodukt unter dem Titel „HIStory“ in New Yorker CD-KLäden in den Regalen liegt wie Schwermetall.

Sony, die Firma des größten Popsängers der achtziger Jahre, bot, Gerüchten zufolge, Jackson deutschen TV-Chefs wie Sauerbier an. Am Ende soll der „Angel in Disguise“ (so auf einem Plakat vor Jacksons Kölner Hotel) sogar auf exorbitante Gagenforderungen verzichtet haben, nur um bei Gottschalk auftreten zu können. Das Versprechen wurde nun mit Hilfe aller Medien in die deutsche Welt hinaustrompetet: Er komme ohne Lisa Presley, seine Frau werde in einem Kölner Hotel eine ganze Suite belegen, zudem würden seine Fans mit Getränken versorgt, wenn sie ihre Zelte vor der Herberge aufgeschlagen haben.

Der Akt, der sich als Hype herausstellen sollte, konnte beginnen. ER kam auf dem Kölner Flughafen nieder: Mit Borsalino auf dem Kopf und Mundschutz vor dem Gesicht stieg ER aus dem Flugzeug. Doch selbst hartgesottene Fans fingen an, mißtrauisch zu werden, als ein Mann aus der Limousine winkte, den sie sicher als jemand identifizierten, der nicht Jacko sein konnte: „So hampelig winkt der nicht.“ Plattenmanager wissen in solchen Momenten: Jetzt wird es gefährlich. Wenn erst die richtigen Fans, jene also, die allerlei Beschwerlichkeiten auf sich nehmen, um in die Nähe ihres Gottes zu gelangen, nicht alles für bare Münze nehmen, droht der Starkult zusammenzubrechen. Und das wäre für das CD-Geschäft ausgesprochen mißlich. Denn „HIStory“ verkauft sich auch in Deutschland nur in dem Dimensionen eines Achtungserfolges.

So war es also ein Muß, Jacko bei „Wetten, daß ...?!“ unterzubringen. In der Sendung, die als letzte das gute alte Sechziger-Jahre-Gefühl aufrechterhält: Wenigstens vor dem Bildschirm sind wir noch eine Familie. Doch es ging komplett in die Hose: Nicht nur, daß die Zuschauer in der Duisburger Halle kraß auseinanderfielen – die einen jubelten bei Jacko, die anderen blieben angeödet sitzen –, nein, auch auf der Bühne machte sich eine Stimmung breit, als hätte ein RTL-Mensch en passant mehrere Kübel Mehltau auf die Konkurrenzserie ausgeschüttet: Arabella Kiesbauer im Lambada mit Roberto Blanco, Hillu und Gerhard Schröder, Rüdiger Hoffmann, Andrew Lloyd Webber, Helen Schneider – sie alle wirkten sichtbar genervt ob ihres Status als Minutenfüller – jener Zeit also, bis Jacko kommen sollte und jener Frist, die bleiben sollte, bis das „Aktuelle Sportstudio“ anfängt. Und dann noch Thomas Gottschalk: Selten sah man den Mann so hippelig, so unkonzentriert agieren wie während der Sendung am Sonnabend. Es tat ihm sichtlich nicht gut, daß alles auf IHN ausgerichtet war. Dabei lebt seine Sendung doch davon, daß sich selbst die einheimischen Medien-Halbgötter hernach auf die Couch setzen und sich als Wettpaten zur Verfügung stellen. Jackson kam nicht im Traum auf die Idee, sich dieser deutschen Unsitte, alle Sterne auf Erdenmaß zurückzuholen, zu unterwerfen. Als stärkste Konzession an die Usancen dieses für ihn fremden Landes gab er Gottschalk einmal kurz die unbehandschuhte Hand – wo man doch weiß, daß Jacko nichts so sehr haßt wie Kontakt mit Irdischem.

Die Lieder, die Jackson bot, waren natürlich göttlich. Sowohl seine Tanzeinlage zu „Dangerous“ als auch seine Liveperformance zu „Earth Song“ waren so, wie man es von einem aus dem Himmel erwarten darf. Perfekt und nicht von diser Welt. Doch im Rahmen dieser Sendung wirkte auch er letztlich blaß. Die Kameraführung – seltsam statisch. Die Halle sah plötzlich aus wie ein Freizeitheim, in dem gerade eine Kaninchenzüchterversammlung abgehalten wird, in die sich versehentlich der liebe Gott eingeschlichen hat: unfestlich. Man hätte es vorher wissen können. Jan Feddersen