Halleluja für einen Glauben mit Köpfchen

Diese Woche tagt die Synode der evangelischen Kirchen – der Berliner Bischof Wolfgang Huber fordert eine politische Kirche, die auch der Mitgliederschwund nicht zum Teufel jagt

Können Sie unseren heidnischen LeserInnen mal erklären, was es mit der Religion auf sich hat?

Bischof Huber:Es ist mir neu, daß die taz nur von Heiden gelesen wird ...

Ein Bischofswort für die Heiden und Nichtheiden unter unseren Lesern, bitte.

Wir können unser Leben nicht aus eigener Kraft hervorbringen und gestalten, sondern sind auf Orientierung und Hilfen angewiesen, die nicht aus uns selber kommen. Wir alle müssen mit Grundproblmen wie Tod und Leben, Schuld und Vergebung, Streit und Versöhnung umgehen.

Glauben Sie an Gott?

Ja, Sie nicht?

Zur Mission kommen wir später. Wie sieht Ihr Gott aus?

Gott sieht nicht aus. Gott ist ansprechbar – insofern ist er ein personaler Gott –, aber für den christlichen Glauben, wie für den jüdischen, gilt das Bilderverbot.

Ein Christ soll beten: „Vater unser, im Himmel ...“ Verlangen Sie das allen Ernstes von einem aufgeklärten Menschen? Diese Vorstellung ist doch reine Mythologie.

Das ist ein sehr aufgeklärtes Gebet, deshalb kann das auch ein aufgeklärter Mensch hinbekommen. Es wäre kein Zeichen von Aufklärung, die mythische Dimension des Lebens zu verdrängen. Das Gebet ist aufklärerisch, weil es das Bild vom drohenden Gott, der ungreifbar über den Wolken thront, aufhebt und die Nähe Gottes zu den Menschen betont. Dieses Gottesbild ist sehr wohl vereinbar mit dem Grundimpuls der Aufklärung. Ich setze auf Menschen, die ein reflektiertes Verhältnis zur relgiösen Dimension haben – und insbesondere ein reflektiertes Verhältnis zur Kirche.

Religiöses wird zwar wiederentdeckt – aber außerhalb der Kirchenmauern ...

... in fundamentalistischen oder esoterischen Formen. Diese gehen davon aus, daß man zur Religion nur dann ein Verhältnis haben kann, wenn man den eigenen Verstand eingeschränkt nutzt. Ich plädiere für eine Wiederentdeckung der Religion, bei der das Bündnis von Glaube und Vernunft eine Chance hat.

Das haben Protestanten immer getan. Was aber vielen Menschen fehlt, ist die spirituelle Dimension des Glaubens.

Trotzdem wird auch in Ihrer Zeitung manchmal über christlichen Glauben geredet, als zeichne sich dieser in seiner evangelischen Form durch besondere Unvernunft aus. Das ist überhaupt nicht der Fall.

Am 12. November geht das katholische Kirchenvolksbegehren zu Ende, bei dem die Basis mehr Rechte für Frauen fordert, eine offenere Haltung zur Sexualität einklagt, den Zölibat abschaffen und mehr Demokratie innerhalb der Kirchenhierarchie einführen will. Werden die Katholiken plötzlich fortschrittlicher als die Evangelen?

Nein. Katholiken reiben sich stärker an den Vorgaben der Kirche als Institution. Im übrigen: Auch das Kirchenvolksbegehren zeigt, daß wir in das ökumenische Zeitalter des Christentums eingetreten sind. Die Themen dieses Begehrens gehen zum großen Teil nicht nur die katholische Kirche an. Richtig ist aber auch: Die Frauenordination und die Demokratie gibt es in der evangelischen Kirche schon; und der Zölibat war nie unser Problem.

„Daß unser Kirchenwesen in einem tiefen Verfall ist, kann niemand leugnen.“ Das konstatierte der Theologe Friedrich Schleiermacher schon Anfang des letzten Jahrhunderts. Der Verfall ist kräftig fortgeschritten: das Kruzifix- urteil, die Abschaffung kirchlicher Feiertage, die Diskussionen um den Sonntagsschutz, der Streit um den christlichen Religionsunterricht an staatlichen Schulen, zunehmende Kirchenaustritte. Ist die Kirche noch gesellschaftsfähig?

In Fragen der Christlichkeit gibt es starke Wellenbewegungen. Das Jahr 1989 und seine Folgen haben einen starken Säkularisierungsschub ausgelöst.

Warum 1989? Weil 17 Millionen Heiden dazugekommen sind?

So wäre es verkürzt ...

Die Fluchtbewegung aus der Kirche gibt es seit den 70er Jahren.

Richtig.

Und wann war denn der letzte Aufschwung?

Nach 1945, in den Nachkriegsjahrzehnten.

Das ist fünfzig Jahre her. Momentan verliert Ihre Kirche pro Tag rund tausend Mitglieder. Woher nehmen Sie Ihren Optimismus, daß die großen Kirchen in Deutschland nicht zur Sekte schrumpfen werden?

Es ist selbstverständlich, daß sich die Kirchen darum bemühen.

Das ist Programm. Wo bleibt die Prognose?

Die überlasse ich im Augenblick anderen.

Was würde sich für die Kirche in der Minderheitenposition ändern?

Schon jetzt treffen bestimmte Vorstellungen von Volkskirchlichkeit nicht mehr die Wirklichkeit unserer Kirche. Ein erheblicher Teil der Bevölkerung hat bereits in der 2. oder 3. Generation keinen Zugang zu Glaube und Religion gehabt. Wir müssen gesellschaftlich so handeln, daß auch diese Menschen verstehen, was wir tun. Außerdem müssen wir bewußt zu Kenntnis nehmen, daß wir mit Menschen zusammenleben, die andere Überzeugungen haben und sich anderen Religionen und Glaubensweisen zugehörig fühlen.

Was heißt das für die Kirche nach innen?

Wir haben einen großen Bedarf an Strukturveränderungen. Einerseits weil unsere finanzielle Möglichkeiten geringer werden, andererseits weil wir eine neue Form von Beweglichkeit entwickeln müssen. Gemeinden und deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen sich von einer überwiegend volkskirchlichen Mentalität verabschieden. Überzeugungsarbeit muß auch bei denen geleistet werden, die in großer Distanz zur Kirche leben.

Mission?

Das ist der traditionelle Begriff. Ich sage lieber: Überzeugungsarbeit.

Warum finden Sie sich nicht einfach damit ab, eine Minderheitenkirche zu werden?

Auch in der Minderheitenposition werden die beiden großen Kirchen ihre öffentliche Verantwortung wahrnehmen.

„Öffentliche Verantwortung“ hieß bei der evangelischen Kirche auch immer Nähe zum Staat.

In erster Linie geht es nicht um das Verhältnis von Kirche zum Staat, sondern von Kirche zur Gesellschaft. Es gibt eine Tendenz in einem Teil der Gesellschaft und der Politik, Glaube und Religion als Privatsache anzusehen und sie aus dem gesellschaftlichen und öffentlichen Bereich zu verdrängen. Aber es gibt auch Gegenströmungen. Denn der christliche Glaube hat nicht nur mit der privaten, sondern auch der öffentlichen Existenz der Menschen zu tun. Die Kirchen müssen soziale und politische Aufgaben wahrnehmen können. Darüber müssen Absprachen zwischen Kirche und Staat stattfinden. Von daher gibt es keinen Rückzug aus der Gesellschaft, auch nicht aus dem staatlich gestalteten Bereich, sondern eine aktive Präsenz in diesen Bereichen. Denken Sie an die Diakonie, die Verantwortung im Bildungsbereich.

Ich denke an die Kirchensteuer.

Die Kirchensteuer einfach abzuschaffen ist ausgesprochen phantasielos. Es wäre kein Zugewinn an Freiheit, sondern nur der Verzicht auf ein Instrument, das sich im kirchlichen Bereich bewährt hat. Phantasievoller wäre es zu überlegen, ob man diese Form des Geldeinzugs auch für andere Verbände öffnet.

Das Kirchensteuersystem ist also nicht revisionsbedürftig?

Es ist nicht revisionsbedürftig, sondern entwicklungsfähig.

Sie sind ein Sophist!

Das ist nicht sophistisch, sondern realitätsbezogen.

Braucht die Kirche mehr Freiheit vom Staat?

Die Frage ist, ob sie von ihrer Freiheit immer einen zureichenden Gebrauch machen – zum Beispiel wenn es darum geht, politische Entscheidungen zu kritisieren. Doch es sind nicht die staatskirchenrechtlichen Regelungen, die sie daran hindern.

Sondern?

Die Rücksicht auf die Positionen ihrer eigenen Mitglieder. Kirchenleitungen und Bischöfe fragen sich immer – gerade bei Äußerungen zu politischen Problemen –, wie die Kirchenmitglieder darauf reagieren könnten.

Wo soll sich die Kirche politisch einmischen?

Es gibt aktuelle Beiträge der beiden Kirchen, von denen ich mir wünsche, sie würden bewußter wahrgenommen: Der Diskussionsprozeß zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland, die Asyl- und Ausländerpolitik. Oder die Diskussion über die Auswirkungen neuer Biotechnologien, Hirntotdefinition, Organtransplantation. Das sind Beispiele dafür, daß sich die Kirchen bei brisanten Themen und an neuralgischen Punkten einmischen. Für die evangelische Kirche nehme ich in Anspruch, daß sie die kritische Auseinandersetzung mit der sozialen und politischen Wirklichkeit weitertreibt. Nur wird das überdeckt durch die Diskussion über Kirchenaustritte und Kirchensteuer. Selbt kirchenintern. Die Klage über das fehlende Geld darf aber in der Kirche nicht lauter hörbar werden als das Evangelium.

Haben Sie ein Programm gegen Kirchenaustritte?

Ich habe ein Programm für Kircheneintritte. Darüber sollte man genauso intensiv reden wie über die Austritte.

Die Eintritte sind aber nicht das Problem. Welche Motive stecken hinter den Austritten?

Vielfältige. Es gibt viele Mitglieder, die in erheblicher Distanz zur Kirche leben. Dann braucht es nur einen zusätzlichen Anlaß – häufig ist es ein finanzieller – und sie treten aus.

Wir müssen uns vor übertreibenden Dramatisierungen hüten. Solche hat es auch in der Diskussion um das Kruzifixurteil gegeben.

Was halten Sie davon, daß sich Bayerns Regierung nicht an das Verfassungsgerichtsurteil halten will?

Dieselben Leute, die zunächst die Aufhebung des Buß- und Bettags betrieben haben, forderten anschließend, daß in Bayern das Aufhängen von Kruzifixen Pflicht bleibt. Ich würde es sehr begrüßen, wenn diejenigen Politiker, die sich jetzt so laut für das Kreuz ausgesprochen haben, auch die Wiederherstellung des Buß- und Bettags betreiben würden. Das steht an, denn diese Finanzierungsform für die Pflegeversicherung war ein eklatanter politischer Fehler.

„Bayern ohne Balkensepp“ titelte die taz nach dem Kruzifixurteil. Hat Ihnen die Überschrift gefallen?

Nein, sie hat mich empört. Sie war geschmacklos und falsch.

Haben Sie Visionen?

Ich habe die Vision einer offenen und öffentlichen Kirche, die einladend ist, aber auch zu den Menschen auf dem Weg ist. Einer Kirche, die sich einerseits mit den persönlichen Lebensproblemen beschäftigt – also die seelsorgerliche Dimension wieder stärkt. Die sich aber andererseits auch der Frage zuwendet, woher denn die Bedingungen kommen, unter denen Menschen leben müssen und die sie oft scheitern lassen. Eine Kirche, die öffentlich präsent bleibt.

Halleluja!

Von mir aus dürfen Sie das Gespräch gern so beenden.

Das Gespräch führten Bernhard Pötter und Bascha Mika