■ Eduard Schewardnadse Wahlsieger in Georgien
: Die Erfahrung der Gewalt

Mit einer Mehrheit von über 70 Prozent ist Eduard Schewardnadse ins neu geschaffene Amt des Staatspräsidenten gewählt worden. Bereits 1992, nach der Rückkehr in sein vom Bürgerkrieg heimgesuchtes Land, ließ er sich per Volksabstimmung als Staatsratsvorsitzender legitimieren. Resultat: 95 Prozent.

Schewardnadse wertet die Bestätigung als Vertrauensabstimmung für sein „Programm zur Rettung des Landes“. Die auf sein Drängen geschaffene Präsidialverfassung gibt ihm neue Machtbefugnisse. Daß eine Stärkung der Exekutive in dem zerrissenen und wirtschaftlich ruinierten Land gegen die destabilisierenden Kräfte notwendig ist, zeigen die vier Attentate auf georgische Politiker verschiedener Couleur in einem Jahr, das letzte auf Schewardnadse selbst, gerade bevor er die neue Verfassung unterzeichnen wollte.

Schewardnadse scheint heute die einzige Persönlichkeit in Georgien mit der Kraft zur Integration zu sein. So hatte es schon der dreiköpfige Militärrat Sigua–Ioseliani–Kitowani gesehen, der ihn 1992 ins Heimatland zurückholte, nachdem der erste Präsident Gamsachurdia von ihm gestürzt worden war. Schewardnadse hat sich Ioselianis und Kitowanis entledigt. Beide waren Männer mit krimineller Vergangenheit, die als Führer eigenständiger Milizen eine Doppelmacht zum Präsidenten errichtet hatten. Doch für den künftigen Präsidenten, der sich nach dieser „Reinigung“ und nach einem einjährigen Krieg gegen das abtrünnige Abchasien als Alternative zum Chaos aufgebaut hat, bleibt ein Problem besonders virulent: Wie meistert er den Spagat zwischen der für sein Land notwendigen „starken Hand“ und der für eine offene Gesellschaft notwendigen Liberalität?

Schewardnadse hat sich schon häufig als schillernde, widersprüchliche Figur erwiesen. Er, der als sowjetischer Außenminister wegen der Gefahr einer heraufziehenden Diktatur seinen Rücktritt erklärte, kann heute positive Seiten an Stalin entdecken. Er, der die Divide-et-impera-Politik Rußlands im Kaukasus kritisiert, setzt auf ein Sicherheitsabkommen mit Rußland. Die Einigung Georgiens nennt der Präsident eines seiner wichtigsten Ziele – und droht im Konflikt mit den Abchasen diesen bis heute mit militärischen Lösungen, nennt Rußlands Krieg gegen Tschetschenien „die einzig richtige Maßnahme“.

Die Erfahrung der Gewalt in Georgien, auch am eigenen Leib, hat den Moralisten Schewardnadse offenbar verwandelt. Johannes Vollmer