Hauptsache Drittstaat, und Deutschland mittendrin

■ Auch ein Flüchtling, der seine Route nicht kennt, hat keinen Anspruch auf Asyl. In einen „sicheren Drittstaat“ abgeschoben werden kann er allerdings auch nicht

Berlin (taz) – Der Kurde Ali Ü. hat Pech gehabt. Er hat das falsche Verkehrsmittel gewählt. Versteckt auf der Ladefläche eines LKW ließ er sich nach Deutschland schleusen und beantragte Asyl. Daß er in der Türkei wegen seiner Unterstützertätigkeit für die PKK politisch gefährdet sei, stellte auch das Asylbundesamt nicht in Frage. Dennoch lehnte es sein Asylgesuch ab. Ali Ü., so die Begründung, sei nachweislich über einen sicheren Drittstaat eingereist und habe deshalb keinen Anspruch auf Asyl.

Wie der sichere Drittstaat heißt, ist zwar völlig unklar. Ali Ü. macht dazu keine Angaben. Aber durch irgendein „sicheres“ Land muß er gekommen sein, denn die Bundesrepublik ist nur von solchen umgeben. Da Ali Ü.s Fluchtroute ungeklärt ist, kann man ihn nicht abschieben, aber Asyl bekommt er auch nicht. Anderenfalls, so die Argumentation des Asylbundesamtes, würden all die Flüchtlinge begünstigt, die ihre Fluchtroute bewußt verschleiern, und das seien mehr als 50 Prozent aller Asylantragsteller.

Ali Ü.s Schicksal ist ein erster Prüfstein für das 1993 geänderte Asylrecht. Und so folgte seiner Flucht gestern ein Grundsatzentscheid des Bundesverwaltungsgerichts. Das Oberwaltungsgericht Rheinland-Pfalz hatte seinem Asylgesuch stattgegeben. Es müsse einem Flüchtling nachgewiesen werden, über welchen Drittstaat er eingereist sei. Erst dann könne man prüfen, ob er seinen Asylantrag auch dort hätte stellen können. Bei den Verhandlungen um den Asylkompromiß habe die SPD darauf gedrungen, daß der Drittstaat benannt werden müsse, und die Regierungskoalition habe sich dem nicht entgegengestellt. Eine andere Auslegung des Asylrechts würde bedeuten, daß Flüchtlinge in Staaten zurückgeschoben werden, die sie gar nicht durchquert haben und die sich deshalb auch nicht für sie verantwortlich fühlen müßten, entschied das Gericht. Die Flüchtlinge würden sonst von Land zu Land geschoben.

Vor dem Bundesverwaltungsgericht übten sich die Verfahrensbeteiligten gestern in Verfassungsinterpretation: Was wollte der Gesetzgeber eigentlich sagen, als er nach monatelanger Diskussionen den Grundgesetzartikel 16 durch den Passus aufweichte: „Auf das Asylrecht kann sich nicht berufen, wer aus einem sicheren Drittstaat eingereist ist.“ Meint das Wörtchen „einem“ einen x-beliebigen Staat oder einen ganz konkreten? „Man fragt sich“, so die Bundesverwaltungsrichter, „ob die Parteien den Wortlaut extra so vage gelassen haben, damit die Gerichte ihn auslegen müssen.“

Die Bundesrichter legten ihn auf ihre Weise aus: „Ein“ Drittstaat kann irgendein Drittstaat sein – Hauptsache, Deutschland ist, hermetisch abgeschirmt, mittendrin. Vera Gaserow