Geplanter Riot ohne Girls

■ Die Spoken-Word-Performance von Lydia Lunch und Exene Cervenka

Lydia Lunch war schon immer sehr „New York“. „New York“ steht seit Lunchs Karrierebeginn für denjenigen Typus von Künstler, der bei allem immer schon Bescheid weiß. Man ist, das ist eines der wenigen bohemistischen Privilegien, informiert sowie bei allem dabei – und das nicht nur, weil Andy Warhol seinerzeit auch immer beim „Dabeisein“ gesehen wurde.

New York war in den 80er Jahren für bildende Künstler, Schriftsteller und Musiker der Ort, wo man lebt wie Alan Vega oder Hubert Selby, Kunst macht wie Sonic Youth und sich in und um Soho an die nette Entdeckung des Lettristen Isidore Isou hält, welcher mitten im 2. Weltkrieg im Kreativsein den alleinigen Sinn des Lebens für sich entdeckt hatte.

Lydia Lunch kennt sie alle und hat mit allen für Lesungen und Platten sowie mit David Cronenberg für Filme zusammengearbeitet. Mit ein paar von ihnen, zum Beispiel der musikalischen Extremisten-Gruppe Birthday Party oder dem fleißigen, ebenfalls Spoken Word aufführenden Henry Rollins ergaben sich spektakuläre Kollaborationen. Drogen- und Depressionsphasen liefen wie nebenbei ab oder wurden ins Werk eingearbeitet.

Vor über 10 Jahren hat sich Lunch für gereizte, kollernde Lesungen mit der Kollegin Exene Cervenka zusammengetan. „Beide holen sich beim Lesen auf Bühnen die Eingeweide aus dem Körper, und lassen das Abendland zusammenstürzen sowie Nietzsche und seinen toten Gott gute Männer sein.“ So und ähnlich lesen sich Besprechungen der Lesungen von Cervenka und Lunch in britischen Music Weeklies.Rude Hieroglyphics heißt das jüngste Ergebnis aus der Zusammenarbeit der beiden Künstlerinnnen. Der Intensität des Ausdrucks, wie wir sie von Symbolisten, Free Jazzern und manchmal leider auch eingebildeten Gitarristen kennen, wird nicht alles geopfert. Die Welt nur noch von sich aus, seinen allerdirektesten Empfindungen und Wahrnehmungen auf sich zukommen zu lassen, genügt ihnen lange nicht. Lunch und Cervenka sind entsprechend zu vernehmen, wie sie auf Rude Hieroglyphics den Unterschied zwischen der tachistischen und der solipsistischen Persönlichkeit markieren.

Seltsamerweise aber ist Lydia Lunch nie allzusehr in die Nähe von feministischen Diskussionen gerückt worden. Was wohl damit zusammmenhängt, daß es ihr nicht darum ging, herauszufinden, was für Möglichkeiten es zur Zusammenarbeit gibt, sondern etwas auf die Beine beziehungsweise auf die Bühne zu stellen. So ist denn Lunchs und Cervenkas Performance so etwas wie ein geplanter Riot – aber ohne Girl und ohne deren Tanten. Kristof Schreuf

heute, 9. 11., Markthalle, 20 Uhr