Junkerbau im Dornröschenschlaf

Das Preußische Herrenhaus in der Leipziger Straße führt seit Jahren das Dasein eines Geisterhauses. Bund noch zögerlich bei der Renovierung. Neue Nutzungsvorschläge angedacht  ■ Von Rolf Lautenschläger

Das Gebäude gleicht einem Geisterhaus, in dem die Seelen der einstigen Bewohner noch an den Dingen hängen. Stühle sind von den gedeckten Tischen zurückgeschoben, als hätten sich die letzten Gäste gerade erhoben. Teller und Tassen häufen sich vor der Geschirrückgabe. Aus der Registrierkasse ragen noch die Bons. Andere Räume wirken verlassen, sind es aber nicht, weil das Mobiliar ein Eigenleben führt. Schließlich begegnet man kleinen Häuschen, die wie Modelle in dem großen alten Saal erscheinen und die Ruinenlandschaft dort ins Groteske steigern.

Es sind nicht nur die Reste der abgewickelten Akademie der Wissenschaft, die im früheren Preußischen Herrenhaus die Phantasie beflügeln. Tritt man hinter die Betonmauer und den grünen Wildwuchs, die bis dato das Gebäude von der Leipziger Straße abschneiden, taucht eine zweite Vergangenheit auf, deren Schichten tiefer liegen: das große neobarocke Säulenportal, eine feudale Eingangshalle mit verwüsteter Treppenanlage, die lange, zertrümmerte Wandelhalle oder den einstigen Plenarsaal mit Oberlicht, von dem nur noch die rohen Mauern übriggeblieben sind. „Das einstige Preußische Herrenhaus hinter dem Preußischen Landtag war ein architektonisches Schmuckstück“, meint Stephan Georg Sassenroth, Sprecher der Präsidentin des Berliner Abgeordnetenhauses. Es würde Zeit, das Haus aus dem „Dornröschenschlaf“, den es in den vergangenen Jahren im Schatten der Mauer geführt habe, zu wecken und wieder dem Stadtbild zurückzugeben. Das schloßförmige Gebäude mit zwei Seitenflügeln habe eine bessere Behandlung verdient. Sassenroth: „So verfällt es nur weiter.“ Eine „baldige Sanierung“ der zerstörten Säle und der von der Akademie umgebauten und genutzten Gebäudeteile tue Not.

Sassenroth spielt auf die zögerliche Haltung des Bundes an, das Haus schnell umzubauen. Der Bund, dem die einstige Preußenimmobilie gehört, hat zwar ein Bauschild an der Leipziger Straße anbringen lassen, läßt sich aber Zeit mit der Renovierung. Zwar gibt es das Konzept, im Herrenhaus die „Kopfstellen“ der in Bonn verbleibenden Ministerien unterzubringen, doch ein konkreter Termin für den Baubeginn steht noch aus. „Es wäre unsinnig gewesen, das Gebäude gleichzeitig mit dem Preußische Landtag zu sanieren“, erklärt Helmut John von der Oberfinanzdirektion, die die Bundesbauten verwaltet. Eine etwaige Fertigstellung 1993 hätte einen jahrelangen Leerstand zur Folge gehabt, sei doch der Umzug der Ministerien auf 1998 bis 2000 terminiert.

Der Bund ließ bisher ein bauliches Gutachten über den Zustand des Gebäudes und die Freiflächen erstellen. Das als „Hexagon“ bezeichnete Gebäude mit einer Hauptnutzfläche von fast 15.000 Quadradmeter (fast soviel wie der Reichstag) für rund 213 Büros, 4 Sitzungssälen und einem großen Plenarsaal, soll auf die Funktion der sechs Nebenstellen der Bonner Ministerien zugeschneidert werden. Alt und neu, Neobarock und zeitgemäße Raumaufteilungen sollen dabei in ein neues Verhältnis gebracht werden.

Die behutsame Modernität, mit der der benachbarte Preußische Landtag umgestaltet wurde, sollte auch für das Herrenhaus gelten, gehört es doch zu den wenigen Geschichtsresten in der Mitte der Stadt. Der fünfstöckige Gebäudekomplex für die zweite Kammer des Parlaments, den der Architekt Friedrich Schulze 1899 bis 1904 an der Leipziger Straße in Form eines barocken Palais errichtete, und der rückwärtige Landtag bildeten ein kleines Regierungsquartier. Herrenhaus und Landtag waren durch eine Galerie (heute der „Laurien- Block“) verbunden. Schulze betonte im Gegensatz zum renaissancehaften Block des Preußischen Landtags den palaisartigen Charakter des Herrenhauses, indem er es in die Tiefe des Grundstücks legte. So wurde ein Vorplatz geschaffen.

Auch die übrigen Räume für Büros, Wandelhallen und Junkersitzungen „sollten ihre Belichtung durch die die Gebäude umgebenden Gärten erhalten“. Hinter der monumentalen Säulenfront traten die Preußenherren in eine Treppenhalle, die zum mamornen Foyer abzweigten. In die Mitte des Gebäudes plazierte Schulze den Plenarsaal mit Oberlicht. Im Halbrund traten dort die Gegenspieler des Landtagsparlaments an.

Die spielerische Sachlichkeit des Baus läßt sich noch heute nachvollziehen. Präsidialwohnung, Sitzungssäle, Büros, Gastronomie oder die Bibliothek gruppierte Schulze um den Plenarbereich herum. Der parlamentarische Betrieb wurde neben der Repräsentanz als Funktionsablauf organisiert.

Von zwei Angriffen hat sich das Haus bis heute nicht erholt: Zum einen rückte Hermann Göring den Klotz des Reichsluftministeriums an das Herrenhaus heran. Zum anderen verwüsteten alliierte Bomben Teile des Baus. Nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs und den Enttrümmerungsarbeiten 1950 gab es zwar Pläne, das Herrenhaus zum DDR-Regierungssitz umzubauen. Die Ausbauarbeiten des Eingangs sowie des Plenarbereichs kamen indessen über den Rohbauzustand nie hinaus.

Geldmangel und die Nähe zur Mauer ließen das Haus in einen Dornröschenschlaf versinken, der nur gestört wurde durch die marginale Nutzung des Haus der Ministerien und der Akademie der Wissenschaften. Für deren Mitarbeiter wurden besondere Räume eingerichtet, Zwischengeschosse eingezogen und Flure im muffigen Plaste- und Elastecharme gestaltet. Noch heute arbeiten in ein paar Räumen Mitarbeiter der Leibniz- Forschung in dem Geisterhaus, dessen Ostflügel auch von der Treuhandanstalt vorrübergehend genutzt worden war.

Den Wandlungen des Hauses könnte eine Idee erneut Nahrung geben. Statt des Hexagons könnte der Bundesrat dort einziehen, sagt Franziska Eichstädt-Bohlig, baupolitische Sprecherin der Bundesgrünen. „Der Bau besitzt einen Plenarsaal, und der Bundesrat zöge in einen Altbau.“ Das sei kostengünstig und umzugsbeschleunigend. Warum nicht?