Die Zumutung Zukunft

Sie wollen mehr als unterhalten, sind teilsubventionierte Arbeitgeber und nach der Wende vergessen worden. Die Zukunft der Privattheater steht zur Diskussion  ■ Von Petra Kohse

Ernst-Reuter-Platz am Vormittag: TU-StudentInnen strömen aus der U-Bahn, die Hochhäuser ringsum glänzen in der kalten Novembersonne. Telefunken residiert hier, und IBM. Früher nannte man diesen Platz das „Knie“, weil die Verbindungsstraße zwischen dem ehemaligen Stadtschloß und dem Schloß Charlottenburg nur an dieser Stelle einen Knick macht. Früher ist vor 1953, dem Todesjahr von Ernst Reuter. Da gab es die Industriegebäude und auch die TU noch nicht.

Statt dessen zeichnete sich das „Knie“ dadurch aus, daß sich die Hälfte aller wesentlichen Theater Westberlins in Sichtweite befand: das Renaissance-Theater, das Schiller Theater und die Tribüne. Heute ist das Herz der Theaterszene vom „Knie“ wieder in die Mitte der Stadt gerutscht. Das Schiller Theater ist eine Musicalbühne, Renaissance-Theater und die Tribüne kämpfen seit der Wende um Profil und Publikum – ein Schicksal, das sie mit allen Theatern, insbesondere aber mit den anderen Privattheater teilen.

Denn diese teilsubventionierten Häuser im Westen Berlins, zu denen auch das Hansa-Theater in Moabit, das Kleine Theater am Südwestkorso oder die Vagantenbühne zählen, kommen im öffentlichen Bewußtsein nur noch am Rande vor. Seit der Kritiker Friedrich Luft 1990 starb, haben sie keinen wortmächtigen Begleiter mehr. Darüber hinaus müssen sie mit der Kränkung leben, in dem Theatergutachten, das Ivan Nagel und andere 1991 für den Senat erstellten, nicht bedacht worden zu sein.

Ohne Aufsehen zu erregen, verfolgen sie also tapfer ihren Weg der Mitte, der sich künstlerisch nach unten zu den Kudammtheatern abgrenzen läßt, und nach oben zur Schaubühne. Die Kudammtheater werden zwar auch privat geführt, bekommen als Boulevardtheater jedoch keine Subventionen. Und die Schaubühne erhält ungeachtet ihres Privattheaterstatus etwa 24 Millionen Mark und gilt dem Senat als „sonstiges Theater“.

Daß es so ruhig um sie ist, hat die Privattheater verdächtig gemacht. Die Zuwendungen sind nicht üppig (600.000 bis 5,7 Millionen Mark), kommen aber zuverlässig. Des Kultursenators Theaterfinanzierungskonzept hat den Privaten 1994 sogar eine fünfjährige Planungssicherheit verschafft.

Dem gegenüber stehen in der freien Szene eine Reihe fester Ensembles, deren Förderung einerseits zu vage ist, den Etat für freie Gruppen andererseits aber fast sprengt. Anfang Oktober haben sich sieben von ihnen zur Initiative „Geprüfte Theater“ zusammengeschlossen, mit dem Ziel, den Privattheatern verwaltungstechnisch gleichgestellt zu werden. Dabei wollen sie das für Freie bestehende Modell einer regelmäßigen künstlerischen Kontrolle auf alle übertragen und streben Technikpools und gemeinsames Marketing an.

Das geht den Privaten natürlich an die Sicherheit. Aber da eine Umstrukturierung der Privattheaterförderung auch politisch bereits thematisiert wird, ist dieses Ansinnen von unten zugleich ein Angebot, die eigene Zukunft zu gestalten, bevor es von oben geschieht. Doch die Vorbehalte sind groß.

Klaus J. Rumpf vom Hansa- Theater hält die Freien Gruppen als Gesprächspartner insgesamt für zu unprofessionell. Steffi Recknagel, die Dramaturgin des Renaissance-Theaters, rechnet vor, daß manche freie Gruppe hinsichtlich der Platzzuschüsse besser dastehe als die Privaten. Das Theater zum Westlichen Stadthirschen etwa erhalte 203 Mark – dreimal soviel wie das eigene Haus.

Und Sabine Fromm, die Leiterin des Kleinen Theaters, verweist auf die Arbeitgeberverpflichtungen der Privattheater, auf Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall zum Beispiel. Auch die Mietverträge der Privaten machen eine langfristige Kalkulation unabdingbar. Und von einem Beirat künstlerisch überprüft zu werden, kann sich in der Praxis niemand vorstellen. Fromm gibt zu: „Daß alles mal wieder in Frage gestellt wird, ist sinnvoll und lebendig.“

Nachdenklich ist auch Rainer Behrend, Mitdirektor der Tribüne und der von seinem Vater 1949 gegründeten Vagantenbühne. Auch ihm ist das Anliegen der „Geprüften“ einsichtig: „Wir haben ja alle mal so angefangen.“ Man müsse eben feststellen, welche Gemeinsamkeiten mit den (Noch-)Freien Theatern bestehen, sagt er.

Seit fast einem Vierteljahrhundert macht Behrend Theater in Berlin. In seinem winzigen Büro weist er nicht ohne Stolz auf das Plakat einer Goldoni-Inszenierung an der Wand. Eine Inszenierung, die kurz vor der Premiere aus künstlerischen Gründen abgesetzt wurde. Auch so etwas müsse man sich als Privattheater leisten können. Und da er auch in den bevorstehenden Hungerjahren nicht in die Kommerzialisierung getrieben werden will, ist Behrend zu jedem Gespräch über Strukturen bereit. Allerdings: „Bestimmte Dinge haben wir einfach hinter uns. Ich bin nicht bereit, noch einmal von ganz unten anzufangen.“