In dubio pro reo

■ Mit der neuen Serie "Das Schwurgericht" will Sat.1 dem ARD-"Tatort" gehörig Konkurrenz machen (So., 20.15 Uhr)

Wenn Hauptkommissar Derrick („Manchmal hasse ich meinen Beruf“) seinem Assistenten Harry Klein befahl, den überführten Mörder abzuführen, dann war im deutschen Fernsehen der Krimi in aller Regel am Ende. Ob und mit welcher Strafe der Delinquent zu rechnen hatte, würden irgendwann nach Sendeschluß die Richter zu entscheiden haben. Ob heimtückischer Mord oder doch nur Totschlag im Affekt – mal ehrlich, wen kümmerte das schon?

Seit geraumer Zeit hat man sich bei diversen Sendern, vor allem aber bei Sat.1, dazu entschlossen, die Perspektive des deutschen Fernsehkrimis gehörig zu wenden. Immer häufiger sieht man die Kriminaler Seit' an Seit' mit der Gerichtsbarkeit: Kommissar Wolff tut praktisch keinen Schritt ohne seinen Partner von der Staatsanwaltschaft, im „Kriminaltango“ widmete man unlängst gleich eine ganze Folge ausschließlich dem Verhältnis zwischen den beiden Ermittlungsbehörden, und in der neuen Reihe „Schwurgericht“ fangen die Geschichten gar erst da an, wo der „Tatort“ heute sein Ende finden wird: vor Gericht.

Im Zentrum der ersten Folge von „Der Höschenmörder“ steht die Staatsanwältin Katharina Dorn, gespielt von ebenjener Jenny Gröllmann, welche uns zuletzt die standesgemäße Kollegin von „Liebling Kreuzberg“ gab. Frau Dorn vertritt die Anklage gegen den Postangestellten Ralf Herrmann, der des vierfachen Sexualmordes angeklagt ist. Während die Juristin im Staatsdienst noch versucht, den Indizienprozeß zu einem gerechten Ende zu führen, kommen ihr allerdings zunehmend Zweifel: Ein anonymer Anrufer behauptet nämlich steif und fest, selbst der ominöse Höschenmörder zu sein.

Stück für Stück entwickelt sich das Ganze dann also doch wieder zu einer recht spannend erzählten Mördersuche, bei der die Staatsanwältin – soviel Krimigenre muß sein! – sogar am Ende selbst fast das fünfte Opfer wird. Wäre da nicht der junge Referendar Günther, der das Schlimmste verhütet und den wahren Täter schließlich dorthin bringt, wo selbst ein Gerichtskrimi endet: ins Gefängnis.

Erstaunlicherweise funktionieren die Gerichtsschauspiele fast besser als jeder herkömmliche „Wer-war-es-bloß?“-Krimi. Denn während diesen nur die schnöden Verhörszenen und gelegentlich ein reißerischer Fluchtversuch zur Spannungssteigerung zur Verfügung stehen, darf vor Gericht auch noch dramaturgisch vorteilhaft debattiert werden. Um endlich das angestammte Sonntagabend-Monopol des ARD-„Tatort“ zu knacken, plant Sat.1 mit dieser Reihe satte 30 Folgen. Nach Jenny Gröllmann sollen auch Uschi Glas, Thekla Carola Wied, Ulrike Kriener, Klaus Wennemann und Günter Strack in die Robe schlüpfen.

Wir werden uns also in Zukunft etwas genauer mit den juristischen Finessen der bundesdeutschen Prozeßordnung vertraut machen müssen. Gerade unter den jungen Menschen, so ergab unlängst eine Untersuchung, soll da durch den Genuß der vielen amerikanischen TV-Kaufproduktionen doch einige Verwirrung entstanden sein: Als man die Kids bat, eine Gerichtsszene im Stegreif nachzuspielen, riefen die Kleinen andauernd: „Einspruch, Euer Ehren!“ Dabei gibt es zu diesem Procedere aus dem anglikanischen Rechtssystem an deutschen Gerichten keine Entsprechung. Klaudia Brunst