: Nach fünf Jahren einfach rausgeschmissen
■ Innenminister Kanther will Abschiebestopp für langjährige Asylbewerber nicht mehr dulden. 5.000 Menschen sollen gehen. Rot-grüne Appelle an den Bundestag
Frankfurt/Main (taz) – Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) duldet keinen Abschiebestopp mehr für die rund 5.000 abgelehnten AsylbewerberInnen, die seit mehreren Jahren in Hessen und in Rheinland-Pfalz leben. Die aus humanitären Gründen von beiden Bundesländern erlassenen Altfallregelungen würden damit obsolet, wie der Sprecher des hessischen Innenministeriums, Gerd- Uwe Mende, gestern „bedauernd“ konstatierte. „Gegen die Endscheidung von Kanther gibt es keine juristischen Interventionsmöglichkeiten mehr, da die sogenannte Altfallregelung noch immer nicht Bestandteil der Asylgesetzgebung geworden ist“, sagte Mende auf Nachfrage der taz.
In Hessen geht es um rund 2.500 AsylbewerberInnen, die bislang von der landeshoheitlichen Altfallregelung profitierten. Diese sieht vor, daß abgelehnte Asylbewerber, die sich bereits fünf Jahre oder länger in der Bundesrepublik aufhalten, nicht mehr abgeschoben werden dürfen.
Innenminister Gerhard Bökel (SPD) wird jetzt gegen seinen öffentlich erklärten Willen in „Bundesauftragsverwaltung“ hessische Polizisten losschicken müssen, um die seit Jahren hier lebenden AsylbewerberInnen aus ihren Lebens- und Arbeitszusammenhängen herauszureißen und innerhalb von drei Monaten abzuschieben.
Mit seiner Entscheidung gegen eine Altfallregelung, die vom Bundesrat bereits befürwortet worden war, wolle sich Kanther nicht nur erneut als „Hardliner“ profilieren, sondern auch gezielt die rot-grüne Koalition in Wiesbaden in Schwierigkeiten bringen, sagte Mende weiter. „Kanther glaubt, daß sich SPD und Bündnisgrüne jetzt zerfleischen. Doch den Gefallen werden wir diesem Herrn nicht tun.“
Entsprechend hat sich die Fraktion der Bündnisgrünen im hessischen Landtag ausschließlich auf Kanther eingeschossen. „Ohne Rücksicht auf menschliche Schicksale“, so der innenpolitische Sprecher der Fraktion, Horst Burghardt, wolle Kanther „eiskalt Abschiebungen vollziehen“ – als „Weihnachtsgeschenk“. Burghardt forderte alle Bundestagsabgeordneten auf, der vom Bundesrat verabschiedeten Altfallregelung nun auch endlich im Bundestag zuzustimmen. Die Bundestagsabgeordneten seien „der letzte Hoffnungsfunken, der diesen Menschen noch bleibt“. Schließlich sei der Erlaß einer Altfallregelung Bestandteil des sogenannten Asylkompromisses gewesen. Doch an diesen Teil der Abmachung, so Burghardt, wollten sich die Bundestagsabgeordneten von CDU und CSU nicht mehr erinnern.
Innenminister Bökel bezeichnete es als „unbegreiflich“, daß sich Bonn weigere, den Betroffenen zumindest solange ein Bleiberecht zu gewähren, bis der Bundestag entschieden habe. „Die Hartherzigkeit des Bundesinnenministers beschwört menschliche Tragödien herauf, wenn jetzt langjährig legal hier lebende und integrierte Menschen das Land verlassen müssen.“ Bökel forderte Kirchen und Flüchtlingsinitiativen auf, den Druck auf die Bundestagsmehrheit zu erhöhen, um doch noch eine Mehrheit für das geplante Gesetz über die Altfallregelung zu erhalten. Klaus-Peter Klingelschmitt
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