: Gezepptes Konzert
■ Zum 26. Mal: Hans Joachim Hespos Neue Musik in Delmenhorst
In der Kürze liegt die Würze. „Man bedenke, welche Enthaltsamkeit dazu gehört, sich so kurz zu fassen. Jeder Blick läßt sich zu einem Gedicht, jeder Seufzer zu einem Roman ausdehnen. Aber: einen Roman durch eine einzige Geste, ein Glück durch ein einziges Aufatmen auszudrücken: solche Konzentration findet sich nur, wo Wehleidigkeit in entsprechendem Maße fehlt“. Dies schrieb Arnold Schönberg 1924 als Vorwort zu den Bagatellen von Anton Webern, deren kürzestes Stück 20 Sekunden dauert. Webern hat mit seinem Werk auch den bis heute unerreichten Maßstab gesetzt, was Kürze, Konzentration bei gleichzeitigem vielschichtigem Inhalt bedeutet.
Hans Joachim Hespos hat in seiner 26. Veranstaltung „Neue Musik in Delmenhorst“ nun einen Versuch unternommen, Kürze als die Grundlage von Komposition anders zu fassen: „Weil“, so begründet er seine Konzeption, „man bei den meisten Stücken innerhalb einer Minute sowieso weiß, wo's langgeht, kann man auch nach einer Minute abbrechen“. Die Idee machte er öffentlich und schrieb aus: „Kompositionen gesucht von einer Minute Länge“. Er bekam 61 Einsendungen, 59 waren nun numeriert auf dem Programmzettel zu lesen, die nun das Oldenburgische Kammerorchester unter der Leitung von Johannes Harneit in Delmenhorst präsentierte.
Was Kurzweil versprach, schlug aber leider im Verlauf des Konzertes ins Gegenteil um. Sicher hatten die ein oder anderen Stücke eine weiterreichende Qualität, so gingen sie aber doch unter in der eben nicht mehr rezipierbaren Menge, und vor allem in dem allzu dilettantischen Arrangement des Abends.
Die Stücke gingen nonstop ineinander über, das Umklappen eines großen Nummernblocks zwecks Information klappte häufig nicht, die vielen szenischen Anteile hätten dringend einer professionellen Regie bedurft, und die Ausführung selbst war eben selten wirklich gut. Einzige Ausnahme die hervorragenden Sängerin Manuela Ochakowski, die zusammen mit dem Cellisten Christoph Hampe und dem Dirigenten Johannes Harneit dem Abend eine halbwegs professionelle Klammer gab. Dazu sind auch die Akteure Jochen Neurath und Kay Ivo Nowck zu zählen.
Ein Roman, ein Glück (nach Webern), aber auch eine Ironie, ein Witz, eine Parodie, ein Lied, ein Leid, eine Frage: alles mögliche hatten die 59 Minuten-Komponisten, unter denen es sicher auch einige Pseudonyme gab, in der gedrängten Zeit versucht: So ein Komponist aus Deutschland mit Namen Kaz Kumrunrotschna oder auch einer mit Namen NeuNoNeit, 1989 geboren. Zwei Frauen nur waren dabei, und wenn man Hespos Glauben schenken darf, entspricht diese Frauenquote eben nicht einer Auswahl, sondern der Anzahl der Einsendungen. Betroffenheit bei nicht wenigen anwesenden Komponisten im Publikum: Ihr Stück kam nicht vor, obschon es im Programm stand, oder es wurde unerkennbar gekürzt. Schwer zu sagen, wie groß die Eingriffe von Hespos und Harneit wirklich gewesen sind, denn in der erst ganz witzigen, dann immer unspezifischer werdenden und im zweiten Teil nur noch langweiligen und nervenden Überfülle war immer weniger voneinander zu unterscheiden. Es war, als ob man am Fernseher „zeppte“, ein Verfahren, mit dem gleichzeitig alles und genau dadurch gar nichts gesehen wird.
Sicher ist Hespos' Ausgangsidee ein pfiffiges Konzept, dessen Umsetzung jedoch mindestens in der ersten Planungshälfte steckengeblieben ist.
Ute Schalz-Laurenze
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