Dominoeffekt und Rinderwahnsinn

Auch Impfstoffe und Pharmazeutika können die Krankheit übertragen  ■ Aus Göttingen Wiebke Rögener

Kann das Creutzfeldt-Jakob- Syndrom (CJS) – eine dem Rinderwahnsinn verwandte menschliche Erkrankung – möglicherweise durch Bluttransfusionen übertragen werden? Diese Frage stellte Peter Brown von der US-Gesundheitsbehörde, den National Institutes of Health (NIH), auf einem Internationalen Symposium über Prionenerkrankungen, das Ende Oktober in Göttingen stattfand. Seine Antwort: Im Prinzip ja, das Risiko sei aber vermutlich gering. Zumindest in Laborexperimenten konnte er jedoch infektiöses Material in weißen Blutzellen nachweisen.

Etwa 10 bis 15 Prozent aller CJS-Patienten haben irgendwann einmal in ihrem Leben Blut gespendet. Über eine Französin, die an CJS erkrankte, nachdem sie zwei Jahre zuvor das Blutprodukt Humanalbumin erhalten hatte, berichtet im April dieses Jahres das arzneimittel-telegramm. Wie sich nachträglich herausstellte, war das verabreichte Humanalbumin aus dem Blut eines an CJS erkrankten Spenders gewonnen worden. „Würden Sie im Notfall eine Blutkonserve von einem an CJS erkrankten Spender akzeptieren?“ wurde Peter Brown gefragt. Er verneinte entschieden. Bemerkenswert ist dies vor allem, da es sich bei Brown um eben jenen unerschrockenen Wissenschaftler handelt, der bei anderer Gelegenheit vor laufenden Fernsehkameras britisches Rindfleisch aß, um dessen Harmlosigkeit zu demonstrieren. Während in Frankreich zumindest alle Blutprodukte, deren Spender später an CJS erkrankten, zurückgerufen werden müssen, ist dies in Deutschland nicht möglich. Die Chargennummer von Humanalbumin – das übrigens in zahlreichen Arzneimitteln und Impfstoffen enthalten ist – müssen hier nicht dokumentiert werden.

CJS gehört zur Gruppe der Prionen-Krankheiten, ebenso wie die Scrapie-Erkrankung der Schafe und die Bovine Spongioforme Enzephalopathie (BSE), besser bekannt als Rinderwahnsinn. Es blieb lange rätselhaft, wie diese Krankheiten übertragen werden, da sich weder Bakterien noch Viren nachweisen lassen. Stanley Prusiner vertrat in den achtziger Jahren als erster eine Hypothese, die allen bis dahin geltenden Dogmen widersprach: Die infektiösen Partikel bestehen demnach nur aus Eiweißen, den Prion- Proteinen. Diese Theorie, so wurde in Göttingen deutlich, ist inzwischen weitgehend akzeptiert. Nur noch wenige Forscher suchen nach virusartigen und damit Erbsubstanz enthaltenden Partikeln. Prion-Proteine sind in einer bestimmten Form normale Bestandteile des gesunden Organismus. Die krankheitsauslösenden Proteine sind nach bisherigem Kenntnisstand chemisch genauso zusammengesetzt, ihre Eiweißketten bilden jedoch eine andere räumliche Struktur aus, sie sind anders gefaltet. Infizieren sie einen Organismus, klappen durch den Kontakt mit ihnen auch die bisher gesunden Moleküle in die falsche Form um, es kommt zu einem Dominoeffekt. Prusiner präsentierte jetzt in Göttingen eine neue Hypothese, nach der diese Reaktion durch ein weiteres Molekül, X genannt, vermittelt wird.

Die bisher vorliegenden Erkenntnisse über Ausbreitung und Infektionswege lassen noch viele Fragen offen. So berichtete Robert Will von einem signifikanten Anstieg der CJS-Erkrankungen in Großbritannien. Es gab 1994 mehr CJS-Patienten als je zuvor. Wurden diese einfach aufmerksamer registriert, oder besteht doch ein Zusammenhang mit dem Rinderwahnsinn? Viele Wissenschaftler nehmen an, daß eine Art-Schranke die Übertragung der Prionen vom Rind auf den Menschen verhindert. Zwischen anderen Tierarten scheint diese jedoch nicht immer wirksam zu sein: Vor 1986 gab es in Großbritannien Prionen-Erkrankungen bei sechs Tierarten, inzwischen sind es achtzehn. So gilt weiterhin die Empfehlung der WHO: Bis zum Beweis des Gegenteils ist davon auszugehen, daß jede Säugetierart mit BSE infiziert werden kann. Und bekanntlich gehört der Mensch ja auch zu dieser Gruppe.

Bisher sind nicht einmal die Übertragungswege innerhalb einer Art hinreichend geklärt. Das britische Landwirtschaftsministerium vertritt die Auffassung, daß ausschließlich Rinder, die mit Tiermehl aus Scrapie-kranken Schafen gefüttert wurden, an BSE erkranken. Dagegen weisen die in Göttingen vorgestellten Untersuchungen des britischen Mikrobiologen Steve Dealler darauf hin, daß BSE sowohl durch Ansteckung innerhalb einer Rinderherde wie auch von infizierten Kühen auf ihre Kälber übertragen werden kann. Andernfalls hätte die Häufigkeit von BSE seit 1988, als Wiederkäuereiweiß im Rinderfutter verboten wurde, sehr viel schneller abnehmen müssen. Nach Deallers Informationen wurde auch noch bei 1994 geborenen Kälbern die Krankheit festgestellt. Wenn seine Informationen zutreffen, müßte das unmittelbare Auswirkungen auf die EU-Bestimmungen zu BSE haben. Diese gehen bisher davon aus, daß BSE nur bei den bis 1992 geborenen Rindern auftritt. Vollends ad absurdum geführt wurde auf dem Symposium die EU-Regelung, nach der britisches Rindfleisch selbst aus Beständen, in denen in den letzten sechs Jahren der Rinderwahnsinn auftrat, exportiert werden darf, sofern sichtbare Nerven und Lymphgewebe entfernt wurden. Auch in peripheren Nerven, deren restlose Entfernung im Schlachthof völlig ausgeschlossen ist, wurde durch die Arbeit von Martin Groschup und seinen Mitarbeitern infektiöses Material nachgewiesen.

Weitere Erkenntnisse erhoffen sich die Wissenschaftler jetzt vor allem von Experimenten mit genmanipulierten Mäusen, in deren Erbsubstanz die Gene für Prionen anderer Tierarten eingeschleust wurden. So lassen sich Modelle für verschiedene Prionenerkrankungen konstruieren. Diese mögen zwar aus wissenschaftlicher Sicht faszinierend und auch geeignet sein, einige der molekularen Mechanismen zu erforschen, aber kaum klären lassen wird sich damit, ob BSE möglicherweise auf den Menschen übertragbar ist – sei es nun durch Rindfleisch oder auch durch pharmazeutische Produkte, die unter Verwendung von Rinderserum hergestellt werden. Hier ist die epidemiologische Forschung gefordert. Doch auch diese beschäftigt sich zur Zeit lieber mit der Frage nach einer möglichen genetischen Komponente bei der Empfänglichkeit für CJS als mit dem für Verbraucher drängenden Problem eines eventuellen Gesundheitsrisikos durch Lebensmittel oder Pharmazeutika.