In poetisch-feministischen Gefilden

Claus Peymanns Collage „Ingeborg Bachmann. Wer?“ am frischrenovierten Wiener Burgtheater  ■ Von Sigrid Löffler

Viereinhalb Monate war das Wiener Burgtheater geschlossen. Für umgerechnet 17 Millionen Mark wurde das Bühnenhaus renoviert, die Bühnentechnik auf den neuesten Stand gebracht. Jetzt läuft alles wie geschmiert, und ganze Dekorationsteile entschweben Richtung Schnürboden wie auf Schmetterlingsflügeln. Die Gefahr, daß, wie in Handkes „Spiel vom Fragen“ geschehen, ein Dekorationsteil auf die Bühne stürzt und ums Haar einen Schauspieler trifft, scheint vorerst technisch gebannt. Claus Peymanns Riesenspielzeug an der Ringstraße funktioniert sicher, glänzend und vor allem lautlos. Statt ihn auf Schmäh- und Hetz-Plakaten der Haider-Partei („Lieben Sie Peymann oder Kunst und Kultur?“) denunziert zu sehen, kann man dem Burg-Herrn in seiner zehnten Wiener Spielzeit endlich wieder dort begegnen, wo er hingehört: nicht im Wahlkampf, sondern auf der Walstatt und Spielstätte Burgtheater.

Seiner kindlichen Lust gehorchend, justament nie das Erwartete zu tun, hat Peymann sein Haus eben gerade nicht mit einer Großartigkeit wiedereröffnet, sondern entschieden kleinartig. Keine aufwendige Klassiker-Kiste hat er demonstrativ auf die Bühne gewuchtet, nein: „Ein Abend im Burgtheater“, zu dem der Direktor das Wiedereröffnungspublikum lud, entpuppte sich als glorifizierende Dichterlesung, wie sie ohne wesentliche Abstriche auch im Foyer oder auf irgendeiner Behelfsbühne an irgendeinem Schließtag hätte stattfinden können. Sieben Burg- Damen und ein Herr sprachen Texte von Ingeborg Bachmann – zwanzig Gedichte sowie einige Passagen aus dem Roman „Malina“ und andere Prosatexte, wie die Dramaturgen Hermann Beil und Jutta Ferbers sie zusammengestellt haben. Dieses Bachmann- Recital war vage an den biographischen Eckdaten der Kärntner Dichterin orientiert und um Stichworte ihrer inneren Biographie gruppiert: Hölle und Himmel/Klagenfurt. Lieben in Wien. Mein erstgeborenes Land/Italien. Der dritte Mann. Über die Angst. Enigma.

Die Bühne von „Ingeborg Bachmann. Wer?“ ist als großer Pathos-Ort und Assoziationsraum hergerichtet (Bild: Peter Schubert). Atmosphärisch ähnelt sie von ferne Christoph Marthalers hermetischen Rätselräumen, wie Anna Viebrock sie zu bauen pflegt. Kahle Wände ringsum: Auf ihnen können mit Kreide Gedichtzeilen geschrieben werden; in einer Wand kann die Heldin am Ende verschwinden wie in „Malina“. Bestirnte schwarze Himmelsöffnungen eignen sich für die „Anrufung des Großen Bären“. Mitunter öffnen sich hochdramatisch bemalte und illuminierte Horizonte. Vorne an der Rampe ist eine kleine Andachtsstätte arrangiert – eine Schreibmaschine mit Studierlampe, Bachmann-Devotionalien. Ein altmodisches Telefon fungiert als Nabelschnur zur Welt oder zumindest als Kontakt zum Geliebten Ivan. Hinten steht ein Holzgestell, halb Bank oder Bett, halb Lattenrost. Am Ende wird es Feuer fangen und lichterloh brennen und so den römischen Flammentod der Dichterin beschwören.

Wer in Sachen Bachmann Bescheid weiß, bekommt also an diesem Abend etliches Assoziationsmaterial angeboten, das zu den rezitierten Texten irgendwie bedeutsam korrespondieren will. Wer nicht Bescheid weiß, wird die optischen und akustischen Signale schwerlich deuten können und wird zudem von einem nichtssagenden Programmheft beim Entziffern völlig im Stich gelassen.

Ein Hans Kresnik reißt Künstler-Biographien an sich, um sie in ein vehementes Bilder- und Bewegungstheater zu transformieren. Ein Christoph Marthaler kann Texte mit soviel tückisch-biederer Treuherzigkeit zu Chorgesang und Gruppendymanik anordnen, daß der verborgene Sinn wie von selbst herausspringt. Beiden wollte Claus Peymann mit seinem Bachmann- Projekt wohl etwas Eigenes entgegensetzen. Er teilt die Bachmann auf sieben Schauspielerinnen auf, auf sieben Aspekte oder Lebensphasen der Dichterin: vom blondbezopften Kärtner Dirndl im weißen Junfernkranz über die elegante urbane Weltdame, wie sie Ursula Höpfner, Therese Affolter und Julia von Sell verkörpern, bis zum eher männlichen Habitus, dem Animus-Aspekt, den Kirsten Dene in Sakko und Krawatte an den Tag legt, wenn sie sich spielerisch selber mit dem Lorbeerkranz des Dichterruhmes krönt. Der Undine-Aspekt, wie wohl doch zentral in Bachmanns Selbstverständnis, bleibt merkwürdigerweise völlig ausgespart.

Den sieben Bachmanns stellt Peymann eine eher klägliche Männerfigur entgegen, die mal als dümmlicher Reporter blamiert wird und mal im roten Ballkleid mit der Dichterin einen Animus- Anima-Walzer zu tanzen hat. Peymann, jeder Zoll keine Pina Bausch, kann Ingeborg Bachmanns lebensvernichtende Mann- Frau-Problematik aus „Malina“ offenbar nicht anders als in solch ein hilfloses Tanzbild übersetzen. Und wenn härtere Tage kommen, wie es in der „Gestundeten Zeit“ heißt, dann läßt Peymann platterdings die Windmaschine den Bachmann-Frauen, die sich fröstelnd in ihre Mäntel schmiegen, ins Gesicht blasen.

Es läßt sich nicht verheimlichen: „Ingeborg Bachmann. Wer?“ ist hochgestochen raunender Bildungskram in manierierter Luxusverpackung, ein Volkshochschul- Literaturkurs, mit einem teils hermetisch-wichtigtuerischen, teils geschwätzig-redundanten optisch- akustischen Begleitprogramm. Eine Peymann-Exkursion in poetisch-feministische Gefilde, die ihm nicht liegen und wo er nichts verloren hat. Peymanns schöne, neue Burgbühne sperrt indessen hungrig den Rachen auf und will ordentlich gefüttert werden. Sonst frißt sie ihn. Und das wäre doch schade.

„Ingeborg Bachmann. Wer?“ Inszenierung: Claus Peymann. Mit Ursula Höpfner, Therese Affolter, Julia von Sell, Krista Birkner, Kirsten Dene u. a. Burgtheater Wien. Weitere Aufführungen: 14./18./20. November