Ein kurzes Fest zum langen Abschied

■ Ein Rückblick auf den Filmpreis Felix anläßlich seines letzten Auftritts in Berlin

Schon 1994 fand die Verleihung des Felix in Berlin eigentlich zum letzten Mal statt: als bescheidenes Familienfest. Zum 100. Kinojubiläum sollte größer und bunter gefeiert werden, aber wegen der Brüsseler Etatkürzungen und der Berliner Finanzkrise blieb alles beim alten. Am Sonntag fand sie also zum achten und allerletzten Mal statt, in noch bescheideneren Rahmen in der „Bar jeder Vernunft“.

Wim Wenders, turnusmäßig scheidender Vorsitzender der Europäischen Filmakademie (EFA), begrüßte die Gäste konsequent mit „Guten Morgen und Goodbye“. Denn auch die Akademie, die in diesem Jahr mit einem Etat von zwei Millionen Mark haushalten mußte und den Europäischen Filmpreis nach basisdemokratischer Abstimmung verleiht, hat ihre Berliner Tage gezählt.

Zur Zeit verhandelt die Akademie mit Paris, Stockholm und Florenz über den unvermeidlichen Umzug; wegen des Engagements von „arte“ wird der Felix 1996 wohl in Straßburg verliehen. Wenders' braven Abschiedsworten an die Berliner Politiker – man beißt halt nicht die Hand, die einen fütterte – folgte allerdings die refrainhafte Klage über die schlechte Lokalpresse zu den Aktivitäten der EFA. Die kann aber nicht weiter verwundern, wenn man bedenkt, daß die Akademieprominenz außer zum Felix im Hauptstadtleben nie öffentlich in Erscheinung trat.

Im Rückblick gewinnt man den Eindruck, daß das 1988 von Volker Hassemer initiierte Projekt, das europäische Kino nach Art der französischen Césars populär zu machen, an seinen eigenen Ziehvätern, sprich: der Akademie gescheitert ist. Bis heute versammelt die EFA unter ihrem Präsidenten Ingmar Bergman nur alteingesessene Autoren. Zum Beispiel Deutschland: Neben Wim Wenders gehören unter anderem Werner Herzog, Reinhard Hauff und Margarethe von Trotta zum illustren Kreis, Namen wie Doris Dörrie, Detlef Buck oder Sönke Wortmann tauchen nicht auf. Jede Mitgliederversammlung: ein Veteranentreffen der Kunstkinomacher.

Der kleine Felix, der das Filmland Europa gegen den allmächtigen Oscar verteidigen sollte, bescheidet sich freiwillig. Man ist und bleibt am liebsten unter sich und nimmt die eigenen Mühen nicht einmal sonderlich ernst. Von den 120 Akademiemitgliedern waren zum Festakt gerade mal 30 erschienen, der diesjährige Preisträger Ken Loach, der mit „Land and Freedom“ ein politisch aufrichtiges, aber filmisch schwaches Werk abgeliefert hat, glänzte ebenso durch Abwesenheit wie der Junior-Felix-Gewinner Mathieu Kassovitz („La Haine“). Der Dokumentarfilmpreisträger Jens Meurer ist selbst Filmkritikern unbekannt; von den übrigen Nominierten, darunter Eric Rohmer und Theo Angelopoulos, war Romuald Karmakar („Der Totmacher“) als einziger persönlich erschienen. Kassenerfolg ist dem Felix suspekt. Nichts gegen das Kino als Kunst, aber mit ihrer Scheu vor allem Populären hat sich die Akademie samt ihrem Preis in die Bedeutungslosigkeit manövriert.

Aufsehen erregte der Felix nur zweimal. 1988 ging die erste Statuette an einen damals unbekannten polnischen Regisseur, Krystzof Kieslowski: ein selbstbewußter Akt der Anbindung des Ostens an Westeuropa, die gewissermaßen kulturelle Vorwegnahme der Wiedervereinigung. Und 1993 sorgte ein prominent besetztes Symposium anläßlich der drohenden Gatt-Beschlüsse unter der Flagge Frankreichs für die Durchsetzung der exclusion culturelle. Ansonsten beschränkte sich das Wirken der EFA auf Workshops und Meisterklassen, deren aktuellste Ausgabe die plötzlich auch der Akademie dringliche Marktorientierung verspricht. Zur Zeit unterweist der holländische Kameramann und USA-erfahrene Speed-Regisseur Jan de Bont 15 junge europäische Filmemacher in der Kunst des Actionkinos. Wie paradox: Den Abschied von Berlin gibt die EFA ausgerechnet mit „Time for Action“. Christiane Peitz